Kurzfassung
Über den Längszusammenschub in Orogenen
[About longitudinal compression in orogens]
Osswald, Kurt

Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft Band 103 (1952), p. 129 - 130
veröffentlicht: Sep 1, 1952
DOI: 10.1127/zdgg/103/1952/129
ArtNo. ESP171010300039, Preis: 15.00 €
Kurzfassung
Bei der Bearbeitung der europäischen und vorderasiatischen Orogene stieß Verfasser wiederholt auf eigentümliche Großformen, die sich bei der tektonischen Analyse als Ergebnisse von Bewegungen in der Längsrichtung der Orogene herausstellten, wobei Raumverkürzung hervorgerufen wurde, also Längszusammenschub (abgekürzt LZS). Bei der weiteren Verfolgung dieser Erscheinungen fanden sie sich auch in den anderen jungen Orogenen der Erde und gelegentlich in vormesozoischen Orogenen. Über ihr zeitliches Verhältnis zu den Querzusammenschüben (abgekürzt QZS) läßt sich vorläufig nur soviel sagen, daß die letzteren in der Hauptsache abgeschlossen waren, als die Orogene vom LZS betroffen wurden. Freilich hat sich der QZS nachher an vielen Stellen in abgeschwächtem Ausmaß noch fortgesetzt. Der älteste LZS in jungen Orogenen ließ sich mittelkretazisch bestimmen, für weitere ist mitteleozänes Alter zu vermuten, wenn auch zur Zeit noch nicht zu belegen. Es gibt aber ohne Zweifel auch noch jüngere, und in Indonesien sind derartige Bewegungen möglicherweise noch im Quartär bis heute im Gang. Die Formen des LZSs zeigen im Schnitt ähnliche Bilder wie die des QZSs, nur um 90° über eine horizontale Achse gedreht, d. h. das beim QZS senkrechte Profilbild zum waagerechten Kartenbild umgelegt. Die wichtigsten Formen seien kurz erwähnt. Querfaltungen kennen wir aus vielen Orogenabschnitten, seltener Quer- und Schrägüberschiebungen1). Beide sind z. T. sicher Ausweichbewegungen beim QZS, z. T. aber müssen wir sie — vor allem, wenn sie regionale Dimensionen annehmen — als Folgen von LZS ansprechen. Blattverschiebungen gibt es bei beiden, beim QZS beträgt aber die Raumverkürzung oft nur wenige Meter, höchstens einige Kilometer, beim LZS dagegen kann sie 100 km weit überschreiten. Der Flexur bei der Radialbewegung beim QZS entspricht das Sigmoid bei letzterem. Es kann Raumverkürzungen von mehreren 100 km anzeigen. Stauchungen und Knickstauchungen infolge von einseitigem Druck kommen beim LZS ebenso vor wie beim QZS. Wie sie beim QZS in echte Falten übergehen, so beim LZS in faltenförmige Strangwindungen (mit vertikaler Achse der WindungenI), bei denen eine Raumverkürzung bis zu 500 km zustande kommen kann. Orogen- und Strangschlingen — sozusagen Doppelsigmoide —, auch solche mit eingedrücktem Scheitel, sind meist sehr großräumig und können das Ergebnis von Raumverkürzungen im Ausmaß von mehreren 1000 km sein. Sie gleichen im Bild einzelnen Hoch-, Koffer- und Pilzfalten beim QZS. Treten beim LZS Längszerreißungen im Orogen oder Strang ein, so werden die beiden Flügel entlang an senkrechten Flächen (Blättern) ähnlich aneinander vorbeigeschoben wie beim QZS zwei Decken an waagerechten Flächen übereinander wegbewegt werden. Dabei können die Bewegungsflächen in beiden Fällen glatt bleiben oder sie können sich ineinander verkeilen oder verwalzen. Das einseitige Einhaken einer vorbeigleitenden Masse, etwa an einem Vorsprung der anderen, führt beim LZS zur Hakenbildung, die der Stirneinrollung einer Decke beim QZS entspricht. Sie läßt sich in allen möglichen Stadien beobachten und kann zu Raumverkürzung von einigen 100 km bis weit über 1000 km führen. Schließlich geben die Girlandenformen, die hauptsächlich in Ostasien verbreitet sind, ein ähnliches Bild wie ein durch QZS gepreßter Blättermergel und nötigen zur Prüfung der Frage, ob diese noch immer rätelhaften Formen nicht etwa durch LZS zustande gekommen sind. Für die Girlandenform kommen bekanntlich noch andere Erklärungsmöglichkeiten in Frage, für die übrigen genannten Formen besteht dagegen auf Grund der tektonischen Analyse keine Aussicht, sie als Begleiterscheinungen des QZSs zu deuten. Die tektonische Analyse hat zu klären: 1. die tektonischen Tatsachen (Abgrenzung der tektonischen Einheiten, ihre gegenseitige Lage, ihr allgemeines Streichen, ihre allgemeine Vergenz, Richtung und Mindestausmaß des beobachtbaren QZSs usw. ), 2. die Raumverhältnisse (durch Zurückziehen der querzusammengeschobenen Orogenteile in ihre Ausgangslage), 3. die Auswirkung der mechanisch-dynamischen Gesetze. Ergibt sich bei der Anwendung einer solchen Analyse, unter Verzicht auf alle Hypothesen oder durch Gewohnheit liebgewordener Deutungen, daß eine bestimmte großtektonische Form: etwa ein Bogen, ein Sigmoid, ein Haken usw., in ihrer jetzigen Raumlage nicht durch QZS entstanden sein kann, sondern daß zu ihrer Bildung Längsdrucke erforderlich waren, so hat jede Erklärung durch QZS auszuscheiden. Dabei bleibt es eine Frage von sekundärer Bedeutung, ob es sich hier um einen aktiven Zusammenschub der obersten Krustenteile handelt, oder um ein passives Zusammenrücken infolge hypothetischer Vorgänge in den tieferen Krustenteilen.