Résumé

Regionale Gesteinsdeformation in der Molasse der Schweiz

[Regional deformation of Molasse deposits in Switzerland]

Breddin, H.

Kurzfassung

Aus der Verformung der in den Gesteinen eingeschlossenen Fossilien lassen sich Schlußfolgerungen auf die Art und das Ausmaß der tektonischen Verformung der sie einschließenden Gesteine ziehen. Dies gilt insbesondere für das Gebiet des Rheinischen Schiefergebirges und der sich nach Norden anschließenden Steinkohlenreviere, wo tektonisch verformte Fossilien in großer Häufigkeit und Mannigfaltigkeit auftreten. Die Fossilien in der tertiären Molasse der Schweiz sind, wie schon lange bekannt, ebenfalls in weitem Umfange tektonisch verformt. Am besten beschrieben sind bislang die deformierten Meeresmuscheln aus dem Helvet und Burdigal von St. Gallen. Sie finden sich in Schichten, die ohne weitere Faltung regelmäßig mit 20—30° nach Norden einfallen und nördlich der Stadt in die ganz flachgelagerte, wenig verfestigte Molasse des Schweizer Mittellandes übergehen. Durch Ausmessung und Berechnung von solchen deformierten Fossilien, die auf der Schichtfläche ausgebreitet sind, insbesondere von Cardien, läßt sich ermitteln, daß die Molassegesteine bei St. Gallen in der Richtung quer zum Alpenkörper um etwa 25% verkürzt worden sind. Die durch diese Verkürzung hervorgerufene „Streckung“ der Fossilien auf der Schichtfläche folgt dem Generalstreichen der Schichten. Es handelt sich hier ebenso wie auch bei der gleichgearteten Verformung der Fossilien im größten Teil des Rheinischen Schiefergebirges und im Ruhrkarbon um eine „zweiachsige“ Deformation (Kugel zu Rotationsellipsoid mit kurzer Achse). Die Verkürzung muß in der Hauptsache durch Raumverlust, zu einem geringeren Teil jedoch durch Auslängung in der Deformationsebene (Hoch- und Seitenlängung der Gesteine) ausgeglichen worden sein. Sämtliche lithologischen Erscheinungen der Regionaldeformation, wie sie im Nordteil des Rheinischen Schiefergebirges sowie im Ruhrkarbon auftreten, ließen sich auch in der Molasse in der Umgebung von St. Gallen nachweisen. „Transversale“ Schiefrigkeit in Form einer steilen, südfallenden Absonderung der Tongesteine ließ sich noch nördlich von St. Gallen in den Molasseschichten beobachten. Besonders häufig ist Stengelbruch nach der Kreuzlinie zwischen Deformationsebene und Schichtung die schwächste Form, in der sich die Schiefrigkeit ausprägen kann. Mitunter finden sich auch die für alle Gebiete mit Regionaldeformation bezeichneten „selektiven“ Kleinfalten, und zwar in solchen Sandsteinen der Molasse, die bereits vor Einsetzen der Regionaldeformation mehr oder weniger stark verfestigt gewesen sind. Die ebenfalls für alle Gebiete mit Regionaldeformation charakteristischen Mineralgänge kommen in Form von Calzitgängen auch im Molassegebiet von St. Gallen häufig vor. Aus der Art ihres Auftretens ergibt sich, daß die Sandsteine der Molasse bei der Regionaldeformation nach allen Seiten gleichmäßig ausgelängt worden sind, daß also insbesondere auch eine Längung nach der Seite erfolgt ist. Die Regionaldeformation hat sich in der Molasse der Schweiz in weit höherem Maße als im Rheinischen Schiefergebirge und im Ruhrkarbon in einem Raumverlust der Gesteine ausgewirkt. Dieser führte in den Sandsteinen und Nagelfluhen zur Schließung der Poren durch Calzit, in den Tonen und Mergeln aber unter Abnahme der Plastizität und Quellbarkeit zu einer Umkristallisation der feinsten Tonmineralien zu gröberen Mineralblättchen, die sich mit ihren Basisflächen quer zum wirkenden Druck anordneten. Wir haben hier also den relativ seltenen Fall vor uns, daß die Verfestigung der Gesteine vorwiegend durch orogenen Druck bewirkt worden ist. Die tektonische Deformation der Fossilien läßt sich nicht nur im Molassegebiet von St. Gallen, sondern im ganzen Bereich des schweizerischen Mittellandes nachweisen. So sind die Fossilien aus der oberen Meeresmolasse, die in den großen Sammlungen der Schweiz von vielen Punkten vorliegen, fast sämtlich tektonisch verkürzt. Es läßt sich aus der Ausmessung der Fossilien errechnen, daß das gesamte Molassegebiet des Schweizer Mittellandes um einen Betrag verkürzt worden ist, der im Durchschnitt 20% ausmacht. Die tektonische Deformation der Fossilien reicht bis in den Jura hinein, wo im Becken von Delemont noch verformte Fossilien nachgewiesen worden sind. Die Molasse im Bereich des unteren Bodenseegebietes (Beispiel: Überlingen) scheint dagegen nicht mehr verformt worden zu sein. Die Verkürzung der Molasseschichten an der Oberfläche des Schweizer Mittellandes um etwa 20% muß sich auch auf die unterlagernden Schichten irgendwie ausgewirkt haben. Man könnte sich vorstellen, daß dies durch Faltung der tieferen, diagenetisch bereits vor Einsetzen der Regionaldeformation stärker verfestigten Molasseschichten und der bereits voll verfestigten Jurakalke geschehen ist. Der Aufrichtungswinkel, der einer Verkürzung von 20% entspricht, beträgt nicht weniger als 37°. Es ist aber auch durchaus denkbar, daß die Verkürzung sich in anderer Weise ausgewirkt hat, etwa durch Schuppung oder Abscherung über den Jurakalken. Da eine Verkürzung der Molassegesteine in dem durch die Fossilien nachweisbaren Umfange allein durch Raumverlust nicht zu erklären ist, ergibt sich, daß das gesamte Molassegebiet der Schweiz außer nach oben auch seitlich gelängt worden ist. Nach den bisherigen Ergebnissen würde die Längung im Norden des untersuchten Gebietes mit 2—3%, am Alpenrand mit 5—6% anzunehmen sein. Ein Ergebnis dieser Längung sind nicht nur die Mineralgänge, sondern auch die in letzter Zeit näher bekanntgewordene Querstörungstektonik im Nordteil des Schweizer Mittellandes. Ein Zusammenhang der Bruchtektonik im Oberrheintalgraben mit der Seitenlängung am Alpenrande ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Was das heute noch umstrittene Problem der Entstehung der Schiefrigkeit angeht, so ergibt sich aus der Auffindung der Schiefrigkeit und des Stengelbruches auch in den nicht gefalteten Bereichen der Schweizer Molasse am Südrande des Mittellandes, daß die Herausbildung der parallelflächigen Absonderung der Tongesteine nur durch Auskristallisation von Glimmerlamellen, nicht aber durch eine mechanische Durchscherung erklärt werden kann.