Original paper
Biomechanische Voraussetzungen beim Absprung des Senegalgalagos
[Biomechanical requirements for take-off of Galago senegalensis]
Günther, Michael M.

Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie Band 75 Heft 3 (1985), p. 287 - 306
29 references
published: Jun 27, 1985
ArtNo. ESP168007503003, Price: 19.00 €
Kurzfassung
Galago senegalensis ist zu außerordentlichen Sprungleistungen fähig, mit denen er zu den Rekordhaltern unter den Säugetieren zählt. Für die erfolgreiche Durchführung seiner Sprünge im überwiegend arborealen Biotop benötigt er eine hohe Präzision und die einwandfreie Koordination der Bewegungen seiner Körpersegmente. Von besonderer Bedeutung ist dabei vor allem ein reibungsloser Absprung, denn dieser entscheidet in den meisten Fällen über das sichere Erreichen des Zieles, so daß ihr auch ein hoher Selektionswert zukommt. Anhand von Filmaufnahmen mit zwanzigfacher Zeitdehnung und einer Mehrkomponenten-Kraftmeßplattform wurde der Verlauf von ca. 60 Absprüngen von vier verschiedenen Senegalgalagos registriert und analysiert. Mit diesen Filmaufnahmen gelangt man zu einer Definition des Absprungs, die biomechanisch nicht voll befriedigt: Zwischen dem Beginn der Streckung von Kopf und Hals und dem Ende des Kontaktes zwischen Fuß und Substrat liegen etwa 75—95 ms. Stattdessen erscheint es wichtiger, als den Beginn des Absprungs den Augenblick festzulegen, von dem an die Vertikalkraft das Körpergewicht (oder die Gewichtskraft) übersteigt. Das Ende des Absprungs fällt dann mit dem Gipfel der Reaktionskraft zusammen, die Dauer beträgt 100—120 ms. Besonders die sagittale und vertikale Kraftkomponente weisen gleichermaßen nicht den energetisch günstigsten konstanten Anstieg auf, sondern steigen im ersten Drittel nur mäßig, im zweiten Drittel kaum und im letzten Drittel extrem steil an. Der triphasige Kurvenverlauf entspricht der errechneten Gesamtkraftkurve und damit selbstverständlich auch der Beschleunigung. Wird die Steigung des ersten Drittels beibehalten, so bleibt die Beschleunigung zum Zeitpunkt des Absprungs wesentlich unterhalb der tatsächlich erzielten Extremwerte. Die zwei wichtigsten am Absprung beteiligten Muskelgruppen der Hinterextremität können wahrscheinlich in den Phasen verminderter Beschleunigung wegen aktiver Insuffizienz nicht ihre volle Kraft aufbringen. Die Geschwindigkeitszunahme ist zunächst gering, steigt dann aber im weiteren Verlauf immer stärker. Im Gegensatz zum linear anwachsenden Körperneigungswinkel bleibt der Abflugwinkel konstant. Die Mittelwertkurve und die Standardabweichungen von ungefähr dreißig Sprüngen zeigen deutlich, daß die endgültige Festlegung des Landeortes erst im letzten Drittel des Absprungs geschieht. Der Senegalgalago kann also noch spät in der Absprungphase kleinere Regulierungen vornehmen, ohne sein Sprungvorhaben aufgrund von kurzfristigen Zielortänderungen abbrechen zu müssen. Hierdurch vergrößern sich seine Überlebenschancen. Der relative Bedarf an kinetischer Energie und die entsprechende Leistung sind für die höchsten bekannten Sprünge von Senegalgalagos und für die weitesten Sprünge von Tarsius annähernd gleich. Die Werte entsprechen, auf gleiche Körpermasse umgerechnet, auch dem größten Energieverbrauch beim Sprung von Känguruhs. Deren relative Leistung bleibt jedoch um über die Hälfte unter dem Spitzenwert der beiden Primatenarten. Dies läßt sich durch den beim Känguruh wesentlich längeren, leistungssparenden Beschleunigungsweg erklären.
Abstract
Galago senegalensis is a renowned leaper and one of the champions among the mammals. Of particular importance is a precisely coordinated take-off, since this determines the changes of a safe arrival at the aim and thus has high selective value. Movie cines taken at 480 frames/s and a three-component-force plate were used to record and to analyse some 60 take-offs of 4 bushbabies. The definition of the take-off that can be derived from the film recordings is not entirely satisfying: Between the first visible sign of body extension, i. e. stretching of head and neck and the loss of contact of the feet with the substrate (TO) not more than 95 ms elapse. The sagittal and the vertical force components do not show the constant increase which seems to require least energy, but grow slowly in the first third of the take-off, in the second not at all and in the last third rapidly. The observed triphasic curve corresponds closely to the resultant forces calculated for each phase, and therefore also to the accelerations. If the inclination of the first third would be maintained, the acceleration at the time of actual take-off (ST) would remain clearly below the actually measured maximal values. It seems more appropriate to define that instant as the beginning of the take-off, from which the vertical reaction force exceeds body weight. The end of the take-off then coincides with the highest peak of the reaction force. Its duration is 100 to 120 ms. In the phases of reduced acceleration, the most important muscles of the hindlimb are probably unable to exert their maximal force, because they become actively insufficient. In contrast to the linearly growing inclination of the trunk axis, the increase of speed is slow at the beginning, then faster and faster. The angle of take-off remains constant. The means and standard deviations of some 30 leaps show clearly, that a definite decision about the aim of a leap is not made until the last third of the take-off. That means a bushbaby is not compelled to interrupt its take-off because of minor movements of its aim. Instead, it can make corrections even at a very late stage of taking off. This ability increases its chances of survival. The required kinetic energy and the corresponding power are nearly the same as for the widest leaps of tarsiers. If rescaled to the same body weight, their values also correspond to the energy required for the leap of a kangaroo. The relative power of the latter, however, is only one half of the maximal power in the two small prosimians. This can be explained by the much longer, power saving acceleration distance in the larger animal.
Keywords
leaper • mammals • acceleration • body weight • movements • hindlimbs • reaction force • Galago senegalensis • Senegalgalagos