Der bekannte Paläontologe und Lehrbuchautor Prof. Dr. Bernhard
Ziegler, ehemals Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde in
Stuttgart, legt mit diesem Band einen ambitionierten Versuch vor, das
Gesamtgebiet der Paläontologie in komprimierter, leicht lesbarer und
übersichtlicher Form vorzustellen. Dies mag angesichts des
Erkenntniszuwachses und der (Über-)Diversifizierung, der die
Paläontologie wie alle Naturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten
zunehmend ausgesetzt war, als Wagnis erscheinen, doch gelingt es ihm
in erstaunlichem Maße, diese Zielsetzung zu erreichen. Adressaten sind
weniger die professionellen Paläontologen als vielmehr
Fachwissenschaftler benachbarter Bereiche der Biologie und der
Geowissenschaften, Studenten und interessierte Laien.
Der Text gliedert sich in drei recht ungleich gewichtete Teile. Auf
den ersten knapp 40 Seiten werden Grundlagen der Paläontologie
vermittelt. Aufgaben und Zuständigkeit dieser Wissenschaft werden
definiert, und die unterschiedlichen Forschungsrichtungen und
-methoden werden vorgestellt. Etwas breiterer Raum wird der Bedeutung
der Paläontologie für die Evolutionsbiologie sowie der Paläoökologie
eingeräumt. Trotz der enormen Komprimierung des Stoffes ist dieser
Teil des Buches eine sehr gut gelungene Einführung, die gerade
dadurch, dass vieles nur skizzenhaft umrissen wird, zu weitergehender
Beschäftigung und Vertiefung einlädt.
Im sehr viel umfangreicheren zweiten Teil (130 S.) erfolgt eine kurze
Vorstellung der verschiedenen Organismengruppen. Dass hier eine
Auswahl getroffen werden musste, ist klar. So stehen vor allem Gruppen
mit einem guten Fossilbericht im Mittelpunkt, doch werden andere,
deren Überlieferungschancen geringer sind, meist zumindest kurz
erwähnt.
Der dritte Teil des Buches stellt auf 100 Seiten schlaglichtartig
wichtige Kapitel aus der Erd- und Lebensgeschichte seit dem
Präkambrium in den Mittelpunkt, von der Entstehung der ersten
Lebensformen und den ältesten Fossilfunden bis hin zur
Hominidenevolution. Oft nehmen einzelne Kapitel auf besonders
wichtige Fossillagerstätten oder wichtige Faunen- und
Florenvergesellschaftungen Bezug.
Insgesamt besticht das Buch durch die sprachlich und inhaltlich klare
Darstellung des umfangreichen Materials, worin sich die vielfältige
didaktische Erfahrung des Autors zeigt. Die zahlreichen Abbildungen –
viele fanden in ähnlicher Form bereits in früheren Werken Verwendung –
wurden sämtlich vom Autor gezeichnet bzw. umgezeichnet. Daraus ergibt
sich ein einheitlicher, ästhetisch und didaktisch überzeugender
Stil. Die Strichzeichnungen legen bewusst Wert auf wesentliche
Merkmale und Zusammenhänge, unter Vermeidung zu großen und mitunter
verwirrenden Detailreichtums. Das macht sie auch als Vorlagen für den
Schulunterricht und den wissenschaftlichen Unterricht an den
Universitäten interessant. Man hätte sich allerdings bei manchen
Abbildungen wie auch im Text gewisse Aktualisierungen gewünscht. Dass
beispielsweise auf die Neufunde gefiederter Dinosaurier und früher
Vögel in China nirgendwo eingegangen wird und nicht ein einziger
dieser wichtiger Funde bildlich dargestellt wird (dafür aber 3
Exemplare, darunter eines der am ungünstigsten erhaltenen, von
Archaeopteryx), muss als Manko betrachtet werden. Zumindest im Kapitel
über die Dinosaurier im dritten Teil des Buches wäre eine Erwähnung
angemessen gewesen.
Die 16 Farbabbildungen stellen ausgesucht schöne Fossilfunde dar und
sind von hoher Qualität. Sie erhöhen die Attraktivität des Bandes,
tragen aber inhaltlich wenig bei, denn es kommt nichts hinzu, was
nicht schon im Text und in den Strichzeichnungen zum Ausdruck
käme. Die Frage mag daher erlaubt sein, ob man nicht 2 dieser 16
Seiten – um beim obigen Beispiel zu bleiben – für eine kurze
Darstellung der unterkretazischen Fossillagerstätten in Liaoning und
ihrer Bedeutung für zahlreiche Aspekte der Paläontologie hätte nutzen
können.
Gerade bei solchen aktuellen Forschungsfragen sind Laien oft
überfordert angesichts der weit verstreuten, schnell wachsenden und
schwer zugänglichen Literatur, während populäre Darstellungen
notorisch zu Übertreibungen und Verfälschungen neigen. Solche neuen
Erkenntnisse in fachlich korrekter Form zu präsentieren, sollte auch
eine Aufgabe eines zusammenfassenden Buches über die Paläontologie
sein. Hier wurde eine Chance verpasst.
Ein weiterer Kritikpunkt ist das vielfach festzustellende Festhalten
an überkommenen systematischen Vorstellungen. Es mag im Falle einer
allgemein gehaltenen Darstellung angängig sein, sich traditionsbewusst
an das verbreitete Lehrbuchwissen zu halten. Es ist nun allerdings –
um erneut ein Beispiel zu geben – bereits seit mehr als 30 Jahren
Lehrbuchwissen, dass die Cotylosauria (Stammreptilien) keine
natürliche Gruppe sind, sondern in eine Vielzahl von Gruppen
zerfallen, die teils in der Stammlinie der Amnioten stehen, teils
innerhalb der frühen Amnioten verschiedenartige Entwicklungsrichtungen
repräsentieren. Die Cotylosauria sind somit eine polyphyletische
Gruppe. Sie sind allenfalls von historischem Interesse, schaffen nur
Verwirrung und haben keinen Platz in einer solchen
Darstellung. Verständlicher ist, dass den Ergebnissen der modernen
Kladistik, die dem Leser oft schwer zu vermitteln und zum Teil einem
(zu) raschen Wandel unterworfen sind, insofern nicht Rechnung getragen
wird, dass paraphyletische Gruppen beibehalten wurden. Solche Gruppen
haben immerhin einen gemeinsamen Ursprung, auch wenn sie nicht alle
Nachkommen einer Stammart umfassen (wie die Dinosauria ohne die Vögel,
die Theromorpha als Synapsida ohne die Säugetiere). Dennoch wäre zu
überlegen, ob man selbst in einem solchen allgemeinen Werk nicht
generell nur geschlossene Abstammungsgemeinschaften (Monophyla)
zulassen sollte. Während nämlich die traditionelle Klassifikation
Unterschiede betont, bzw. diese erst künstlich schafft und Grenzen
zieht, wo keine sind (wie zwischen den theropoden Dinosauriern und den
Vögeln oder den theromorphen Cynodontiern und den Säugern), betont die
phylogenetische Klassifikation die Gemeinsamkeiten, die auf gemeinsame
Abstammung begründet sind. Gerade in einer Zeit, in der hitzige
Debatten über die Evolutionstheorie wieder an Raum gewinnen, wäre eine
solche Darstellungsweise wünschenswert.
Der letzte Teil des Buches, der sich der Darstellung einzelner Kapitel
aus der Geschichte des Lebens widmet, ist der meiner Ansicht nach
gelungenste. Er liest sich spannend und vermittelt eine Vielzahl
unterschiedlichster Informationen. Zum einen geht es um
paläobiologische Fragen, wie beispielsweise im Abschnitt über die
Gehäuseentwicklung der paläozoischen Nautiloideen. Zum anderen wird
darin die Vielgestaltigkeit der fossilen Überlieferung und der
Fossillagerstätten vorgestellt. Erfreulich ist auch, dass dem
Fachfremden und Laien vermutlich kaum bekannten, aber überaus
wichtigen Fundkomplexen wie der altpaläozoischen Orsten-Fauna oder der
karbonischen Lagerstätte von Mazon Creek (USA) Rechnung getragen wird.
Natürlich werden auch altbekannte Fundstellen und Faunen (Burgess-
Schiefer, Holzmaden, Messel etc.) ihrer Bedeutung entsprechend
gewürdigt, so dass hier eine sehr ausgewogene Auswahl getroffen
wurde. Umso mehr ist zu bedauern, dass eine ebenso gelungene
Darstellung der chinesischen Lagerstätten fehlt. Trotz dieser
Kritikpunkte ist dieses Buch sehr gelungen, insbesondere, wenn man die
Schwierigkeit der Aufgabe bedenkt, eine derartige Fülle an
Informationen auf so engem Raum in noch lesbarer Form zu
präsentieren. Insbesondere die sehr ansprechende Ausstattung in sehr
hoher Druckqualität bei einem erfreulich niedrigen Preis macht das
Buch neben seinen inhaltlichen Vorzügen sicher für die verschiedensten
Leserkreise attraktiv. Wer eine schnelle und kompetente Einführung in
wesentliche Aspekte der paläontologischen Wissenschaft sucht – sei es
als Schüler oder Student, als Lehrender an Schule oder Universität
oder als Amateur oder Fossiliensammler, der über das bloße Benennen
seiner Fundstücke hinaus einen tieferen Einblick in das Fach gewinnen
will –, ist mit dem Kauf des Bandes gut beraten. Wer eine
Zusammenfassung der aktuellsten, teilweise zu Recht auch noch überaus
strittigen Forschungsergebnisse der Paläontologie in leicht
verdaulicher Form haben möchte, wird sich gedulden müssen, denn dies
kann und will das Buch nicht bieten.
PD Dr. Michael W. Maisch, Stuttgart
Naturwissenschaftliche Rundschau NR 733 Juli 2009/7/62. Jg.