Generationen von Studenten der Geowissenschaften sind mit „dem Ziegler“ als deutschsprachigem Standardlehrbuch der Allgemeinen Paläontologie groß geworden. Professor Bernhard Zieger, der 2013 verstarb, konnte im Jahre 2008 noch die 5. Auflage der „Allgemeinen Paläontologie“ vollenden. Nun hat sich Jörg Mutterlose, Professor für Paläontologie an der Ruhr-Universität Bochum, der anspruchsvollen Aufgabe gestellt, das traditionsreiche Werk weiterzuführen und es dabei grundlegend zu überarbeiten.
Bereits der erste Blick ins Buch zeigt, dass hier ein Wagnis geglückt ist. Der Verfasser hat es geschafft, die Aspekte zu erhalten, die das klassische Werk von Bernhard Ziegler ausgezeichnet haben, und es zugleich von dem etwas angestaubten Konzept befreit und mit Verve in das 21. Jahrhundert katapultiert.
Die mittlerweile kaum mehr überschaubaren Forschungsfelder der modernen Paläontologie auf nur 320 Seiten adäquat darzustellen, ist fraglos eine hochkomplexe Aufgabe. Dementsprechend sind die einzelnen Kapitel gedrängt, wobei es dem Autor gelungen ist, auf überflüssige Details zu verzichten.
Kurz und knapp, in elliptischer Form, werden in den ersten beiden Kapiteln die wichtigsten Organismengruppen vorgestellt, ebenso wie die Entwicklung des Lebens auf der Erde. Daraufhin werden Grundlagen der Taxonomie und Klassifikation sowie der Evolution behandelt. Dieser Darstellung folgt ein Kapitel zu verschiedenen Aspekten der Fossilisationslehre (Taphonomie). Paläobiologische Fragestellungen zur Lebensweise, Aut- und Synökologie der fossilen Organismen werden in drei weiteren Kapiteln recht ausführlich behandelt. Der Rest des Buches widmet sich der Paläobiogeographie, der Paläoumweltrekonstruktion, den Themen Massenaussterben, Spurenfossilien und der Bedeutung der Fossilien für die Geochronologie.
Erst ein Vergleich mit früheren Auflagen lässt erkennen, wie viel Mühe der Verfasser sich gegeben hat, den Großteil des Textes umzuschreiben und modernen Forschungsansätzen und -ergebnissen Rechnung zu tragen, ohne dabei die „klassische“ Paläontologie zu vernachlässigen. Hiermit sind die meisten der wichtigen Aspekte der modernen paläontologischen Forschung abgedeckt. Neben traditionellen paläontologischen Domänen wie der Systematik und der Biostratigraphie legt der Verfasser besonderen Wert darauf, die Relevanz der Paläontologie auch im Hinblick auf drängende Probleme der Gegenwart, wie den Klimawandel und das „sechste Massenaussterben“ des „Anthropozäns“ zu betonen. Angesichts der schwindenden Vertretung des Faches, nicht nur an deutschen Universitäten, ist dieser aktuelle Bezug sicherlich ein besonders wichtiger Aspekt.
Auch neuere methodische Forschungsansätze, die in den letzten Jahrzehnten unverzichtbares Rüstzeug des modernen Paläontologen geworden sind, von phylogenetischen Merkmalsanalysen zur Rekonstruktion der stammesgeschichtlichen Verwandtschaft bis hin zu Isotopenanalysen, die bei paläoökologischen und paläoklimatologischen Rekonstruktionen vielfach unabdingbar geworden sind, werden angemessen dargestellt.
Natürlich mag man auch den einen oder anderen Aspekt vermissen. So wäre ein Kapitel zur Funktions- und Konstruktionsmorphologie, Biomechanik und, in Zusammenhang damit, zu dem immer wichtiger werdenden Feld der Bionik wünschenswert gewesen, auf dem gerade die Paläontologie seit Jahrzehnten wichtige Beiträge leisten konnte – dies als Anregung für die nächste Auflage des Buches.
Auch einige kleine sachliche Fehler haben sich eingeschlichen. So ist beispielsweise die frühe Säugergattung Morganucodon zwar aus verschiedenen Teilen der Welt, wie Europa, China und Nordamerika bekannt, nicht aber aus Südafrika, wie auf Seite 71 zu lesen (wohl aber nahe verwandte Formen). Bei der Fülle des Stoffes sind solche kleinen Ungenauigkeiten aber verzeihlich.
Die mehr als 200 Abbildungen, die sich in ganz wesentlichen Teilen an den oftmals umgezeichneten, sehr gelungenen Illustrationen früherer Auflagen des Buches orientieren und diese mit einigen neuen Graphiken bereichern, sind eine willkommene Ergänzung des gezwungenermaßen oft sehr gedrängten Textes. Besonders wichtige oder komplexe Begriffe werden in eigenen Textfeldern ausführlicher erklärt.
Die schöne Ausstattung, das handliche Format, der trotz straffer Darstellung flüssig und eingängig geschrieben Text und der bezahlbare Preis machen das Buch zu einer ansprechenden Lektüre für Studenten der Geo- und Biowissenschaften ebenso wie für Lehrer und Wissenschaftler benachbarter Disziplinen, aber auch für den naturwissenschaftlich interessierten Nichtfachmann, der tiefer in die Materie der modernen Paläontologie einsteigen möchte.
Da an vielen Universitäten die Paläontologie, auch aus Mangel an kompetenten Lehrkräften, mittlerweile so stiefmütterlich behandelt wird, dass die Studenten wohl wenig mehr als eine kurze Einführung in die allgemeinen Grundlagen des Faches vorgesetzt bekommen, erhält ein solche Lehrbuch besonderes Gewicht. Der Verfasser hat sich der daraus ergebenden besonderen Verantwortung gestellt, was ihm eindrucksvoll gelungen ist. Sicherlich wäre auch Bernhard Ziegler mit dieser respektvollen und adäquaten Fortführung seines wichtigen Standardwerkes zufrieden gewesen.
Dr. rer. nat. Michael Maisch, Tübingen
Naturwissenschaftliche Rundschau 71. Jg., Heft 6, 2018