Scholz, Fred: Geographische Entwicklungsforschung. Methoden und
Theorien. Berlin, Stuttgart: Gebrüder Borntraeger Verlagsbuchhandlung
2004 (Studienbücher der Geographie)
Scholz, Fred: Entwicklungsländer. Entwicklungspolitische Grundlagen
und regionale Beispiele. Braunschweig: Westermann Verlag 2006 (Das
Geographische Seminar)
Mit den 2004 und 2006 erschienenen Werken legt der Gründer des
Geographischen Arbeitskreises Entwicklungstheorien sowie des Zentrums
für Entwicklungsforschung (ZELF) an der FU-Berlin zwei für die
geographische Entwicklungsforschung bedeutende Arbeiten vor. Für die
geographische Auseinandersetzung mit Erscheinungsformen, Ursachen und
Perspektiven von Entwicklung und Unterentwicklung wird damit eine
Lücke geschlossen, die nach dem faktischen Ende der großen
Theoriedebatten entstanden war. Anknüpfend an klassische geographische
Traditionen waren zahlreiche Fachpublikationen mit lokaler/regionaler
und/ oder sektoraler Ausrichtung entstanden, die komplementär das
Bedürfnis nach einer fachspezifischen Gesamtschau zur
Entwicklungsländerproblematik wachsen ließen. Gerade wegen der damit
verbundenen großen thematischen Bandbreite ist der Autor wie kaum ein
Zweiter geeignet, sich dieser Herausforderung zu stellen, verfügt er
doch über eine außerordentlich weit gespannte thematische und
regionale Expertise.
Mit dem Buch Geographische Entwicklungsforschung möchte Fred Scholz
einen originären Beitrag der Geographie zur Entwicklungsforschung
formulieren, der die vorliegenden theoretisch-konzeptionellen und
methodischen Beiträge zusammenfasst und gleichzeitig die Bedeutung
dieser Forschung für die Entwicklungszusammenarbeit unterstreicht. Der
erste Teil der fünfgliedrigen Arbeit ist der Entwicklungsforschung als
Teildisziplin innerhalb der Geographie gewidmet, beginnt allerdings
mit einem eigentümlichen Statement zu den binnenwirtschaftlichen
Multiplikatoreffekten der bundesdeutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Dann erfolgt aber eine Art synoptische Interpretation einer Auswahl
von Arbeiten deutscher Geographen in den Ländern der sogenannten
Dritten Welt, die sich im Wesentlichen an Blenck (1979) orientiert und
insbesondere in der historischen Betrachtung einen guten Überblick zur
Forschung gibt. Leider blendet die dominant sozialgeographische
Perspektive des Verfassers dabei ganze Themenbereiche (z.B.
Governance- und makroökonomische Strukturforschung) weitgehend aus.
Der zweite Abschnitt ``Konzeptuelle Überlegungen und Anmerkungen''
knüpft an das Ende der großen Theoriedebatten an und stellt fest, dass
nach wie vor keine allgemein akzeptierten Vorstellungen über die
Ursachen von Unterentwicklung existieren. Gleichwohl erscheint es aber
aus Sicht des Autors sinnvoll, sich mit entsprechenden Ideen und
originellen Vorstellungen auseinanderzusetzen, da sie zum Verständnis
wichtiger Teilaspekte beitragen. Besonders interessant ist die
Diskussion der Fragestellung, warum sich die europäische Kultur
weltweit durchsetzen konnte. Hier verweist der Autor auf herrschafts-
und gesellschaftsstrukturelle sowie auf natürliche und
produktionsstrukturelle Unterschiede. Im Kern argumentiert er mit
einem in Europa frühzeitig entstehenden (Handels-)Bürgertum und der
protestantischen Wertethik, die in letzter Instanz zu einer
Dynamisierung des gesellschaftlichen Strukturwandels führten, während
die außereuropäischen Gesellschaften in Despotie und
rentenorientiertem Investitionsverhalten verharrten. Ein kurzer Exkurs
zur historischen Entfaltung des Welthandels erläutert die mehr
strukturellen Argumente. Die hierbei gewählte zeitliche Gliederung in
Orienthandel (frühe Phase) sowie merkantilistische, freihändlerische
und imperialistische Phasen bildet eine gute Orientierung für
Studierende. Dekolonisierung und postkoloniale Entwicklungen werden
dann in der Diskussion um Modernisierung versus Abhängigkeit nebenbei
abgehandelt. Ingesamt wird der Versuch unternommen, 138 Zeitschrift
für Wirtschaftsgeographie Heft 2 / 2007 aus den Generaldebatten der
siebziger Jahre die weiterhin als wichtig erachteten Argumente zu
bewahren. Im anschließenden Kapitel ``Raumstrukturen des externen
Einflusses'' werden die räumlichen Erscheinungsformen dieser
Zeitphasen (Hauptstadtdomination, Stadtstrukturen, Extraktionsbahnen,
Plantagenökonomien, Staaten-/Grenzbildung) problematisierend und
kenntnisreich an ausgewählten Beispielen beschrieben.
Im dritten Teil ``Methodische Konzepte und theoretische Ansätze''
bescheinigt der Autor der Öffentlichkeit eine unzureichende Perzeption
der von Geographen vorgebrachten ``zweifellos originellen Ansätze und
Überlegungen zu Theorie und Methodik'' von Entwicklung und
rechtfertigt damit eine nochmalige Darstellung und Diskussion einer
Auswahl dieser Beiträge, die aus seiner Sicht ``ungeachtet ihrer
Entstehungszeit noch immer von besonderer wissenschaftlicher und
entwicklungspolitischer Relevanz sind'' (124): Für den Themenkreis
``Natur und Entwicklung'' wird auf die Studien zur ökologischen
Benachteiligung der Tropen, auf landschaftsökologische Konzepte,
Ansätze zur nachhaltigen Naturnutzung und Selbsthilfe sowie auf die
aktuellen politischökologischen Ansätze verwiesen. Bis auf Weischets
Arbeiten handelt es sich dabei aber meistens nicht um originär
geographische Ansätze, sondern um teilweise sehr gut gelungene
Kooptationen dieser extern entwickelten Ansätze in die Geographie.
Im Abschnitt ``Gesellschaft und Entwicklung'' werden dann die
rentenkapitalistischen Einsichten Bobeks, die Themen indigenes Wissen
und informelle Institutionen sowie der Verwundbarkeitsansatz
diskutiert. Insbesondere bei der Diskussion um indigenes Wissen fallen
das fast völlige Ausblenden des Entstehungszusammenhangs dieser
Ansätze und die Präsentation als originär geographisch unangenehm auf.
Auch die Diskussion um Institutionen trägt ähnliche Züge. Spätestens
hier wäre eine mehr interdisziplinäre Argumentation angebracht
gewesen. Die Diskussion des Verwundbarkeitsansatzes als
mikroökonomischer Ansatz zum Risikomanagement der Haushaltsökonomien
schließt das Kapitel ab. Trotz aller Kritik sei auf die anschaulichen
Darstellungen und die gute Lesbarkeit der Abschnitte verwiesen. Im
Abschnitt ``Wirtschaft und Entwicklung'' gibt der Autor zunächst
Einblick in sein Weltbild in Bezug auf das ``Entwicklungsgeschäft'',
das von ökonomischen Interessen dominiert wird. Das Spektrum dieser
Interessen reicht von ``rücksichtsloser Ausbeutung'' bis hin zur
schieren Überlebenssicherung. Als besonders bemerkenswerte Beiträge
der Geographie zu der Frage nach dem theoretisch möglichen
wirtschaftlichen Entwicklungserfolg werden die Paradigmenwechsel ``von
unten'' und ``autozentrierte Entwicklung'', der Bielefelder
Verflechtungsansatz (Soziologie/Ethnologie) sowie der
akkumulationstheoretische Ansatz (kleine Wirtschaftskreisläufe) von
Rauch diskutiert. Unter dem Stichwort ``Raum und Entwicklung'' wird
zumindest auf eine der vielen jüngeren Arbeiten zur Raumentwicklung in
Ländern der Dritten Welt unter den Stichworten Wachstumspole und
wissensbasierte Cluster verwiesen, um dann jedoch wieder zu dem
Vier-Ebenen-Schema von Rauch (lokal, regional, national, global) sowie
den Konzepten ländlicher Regionalentwicklung zurückzukehren.
Insbesondere bei der dann erfolgenden Vorstellung des
Watershed-Development-Ansatzes, der im Kontext der kirchlichen
Armutsbekämpfung und nicht im Kontext der geographischen
Entwicklungsforschung entstanden ist und erst Jahre später die
entwicklungspolitische Praxis der Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) erreichte, fällt dem professionellen Leser die
Subsumtion fachfremder Leistungen unter die (sozial-)geographische
Entwicklungsforschung erneut unangenehm auf. Die abschließende
gemeinsame Botschaft der hier vorgestellten Beiträge der Geographie
zur Entwicklungsforschung ``basierend auf fundierter empirischer
Forschung und praktischer Projekterfahrung'' wirkt schal. Gleiches
gilt für die jeweils zu den Unterkapiteln erfolgenden abschließenden
Hinweise zum Entwicklungsbezug. Sie mögen für Studierende gut gemeint
sein, wirken aus professioneller Sicht aber eher hölzern und
pädagogisierend.
Im vierten Teil des Buches ``Theorie der fragmentierenden
Entwicklung'' verlässt der Autor seine Moderationsperspektive und
stellt ``eine erklärende Beschreibung und Analyse der
Entwicklungsrealität in der Ära der Globalisierung'' vor. Es handelt
sich dabei um eine dreistufige Hierarchie von globalen Orten,
globalisierten Orten und einer neuen Peripherie mit jeweils begrenzten
Auf- und Abstiegsoptionen. Als globalisierte Orte werden die
wirtschaftlichen Kommandozentralen, High-Tech-Produktions-/
Forschungs- und Innovationszentren sowie auch fordistische
Industriezonen definiert. Globalisierte Orte sind aufgrund einer
spezifischen, meist singulären Funktion mit dem Weltmarkt verbunden -
die restliche Welt gehört zur neuen Peripherie. Neben dieser globalen
Fragmentierung existiert darüber hinaus in den globalen und
globalisierten Orten noch eine lokale Fragmentierung, Ausdruck einer
jeweils nur partiellen Einbindung dieser Räume in das
Weltmarktgeschehen. Mit Hilfe dieses Modells, das an Blotevogels
metropolitanes Auf- und Abstiegsschema erinnert, gelingen nun
interessante Zuordnungen und Interpretationen von lokalen
Situationsbeschreibungen, die weit über den Erklärungswert der
klassischen Zentrum-Peripherie-Modelle hinausgehen. Der
Fragmentierungsansatz erlaubt es, den lokalen, regionalen und
nationalen Wettbewerb um global lokalisierbare Einkommens- und
Erwerbsmöglichkeiten in räumlicher Perspektive zu analysieren und
stellt das theoretische Bindeglied zur Weltwirtschaft her. Die sich
daraus ergebenden zukünftigen Herausforderungen für die geographische
Entwicklungsforschung werden im abschließenden fünften Teil des Buches
kurz diskutiert. Auf der Forschungsebene wird Bescheidenheit und
Konzentration auf Kernthemen angemahnt, die der Autor vor allem in
detaillierten Forschungen auf verschiedenen Maßstabs- und
Akteursebenen zur prekären Lebenssituation von Menschen und zur
nachhaltigen Nutzung von Naturressourcen sieht. Für die Praxisebene,
die auf unzulässige Weise immer wieder auf die
Entwicklungszusammenarbeit reduziert wird, wird eine stärkere
Berücksichtigung der erarbeiteten Erkenntnisse gewünscht.
Es fällt schwer, das Buch einer Gesamtwertung zu unterziehen, da es in
vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist. Als Studienbuch für Studierende
ist es zunächst von begrenzter Qualität, weil die für das Studium der
Thematik notwenige Interdisziplinarität nicht ausreichend dargestellt
wird, weil die Selektivität der Themenauswahl wichtige Bereiche
ausspart und weil methodische Fragestellungen nicht ausreichend
konkret präsentiert werden. Aus fachdisziplinärer Perspektive ist es
allerdings ein außerordentlich interessantes Buch, da es den
Forschungs- und Erkenntnisstand der (sozial-) geographischen
Entwicklungsforschung sehr kenntnisreich abbildet. Es ist
bemerkenswert, dass der Autor, der einst auszog, um mit Hilfe eines
Arbeitskreises die geographische Entwicklungsforschung aus ihrer
fachlichen Enge in die Interdisziplinarität zu führen, nun versucht,
die fachspezifische Identität der geographischen Entwicklungsforschung
zu stärken und die ohne Zweifel bestehenden engen Verbindungen zu den
relevanten Sozialwissenschaften ausblendet. Als Raumwissenschaft ist
und bleibt die Geographie auf Theorien und Erklärungsansätze der
Nachbarwissenschaften in hohem Maße angewiesen. Erst wenn es gelingt,
diese in räumlicher Perspektive einzusetzen und zu interpretieren,
entsteht der für das Fach so typische zusätzliche Erkenntnisgewinn.
Dessen Darstellung gelingt dem Autor gut, aber gelegentlich auf Kosten
der Interdisziplinarität. Für Nichtgeographen, die sich auch nicht
für diziplingeschichtliche Entwicklungen interessieren, sondern das
Buch auf der Suche nach neuen Informationen zur
Entwicklungszusammenarbeit durchforsten, bleibt das Buch erstaunlich
schwach. Die belehrenden Hinweise, zum Beispiel zur ländlichen
Regionalentwicklung (LRE) oder Desertifikationsforschung helfen da
nicht. Wünschenswert wäre unter anderem eine stärker konstruktive und
kritische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Konzepten der
Armutsbekämpfung, der Schuldenerlassproblematik, der Governance-
Diskussionen und den Dezentralisierungskonzepten gewesen.
Insgesamt handelt es sich um ein eigentümlich fragmentiertes Buch, das
unter weitgehender Ausblendung der Beiträge von Ethnologie und
Anthropologie versucht, die (sozial-)geographische Perspektive der
Entwicklungsforschung zu definieren, eine Perspektive, die den
Menschen in seiner lokalen und regionalen Bedingtheit in den
Mittelpunkt des Erkenntnisund Forschungsinteresses rückt. Natürlich
ist die dahinter stehende Moralität einer Forschung im Interesse der
Armen und Benachteiligten mehr als ehrenwert, verstellt aber
gelegentlich den Blick für die strukturellen Mechanismen von
Weltwirtschaft und Gesellschaft und die damit verbundenen
Themenstellungen. Bei aller Kritik und divergierender Auffassung muss
dem Autor jedoch bescheinigt werden, ein gut gelungenes Buch zum Stand
der sozialgeographischen Entwicklungsforschung vorgelegt zu haben. Ob
jedoch künftig die mehr wirtschaftsgeographisch oder auch
bevölkerungsgeographisch inspirierte Entwicklungsforschung
ausgeblendet werden sollte, erscheint im Interesse des Faches
fraglich.
..... Neben seinen bedeutenden Arbeiten zum Nomadismus war es vor
allem der von ihm gegründete Geographische Arbeitskreis
Entwicklungstheorien, der durch sein Bemühen die Teildisziplin
Entwicklungsforschung aus der engen fachlichen Binnenorientierung auf
ein auch interdisziplinär wettbewerbsfähiges Wissensniveau führte. Mit
seinen beiden letzten Büchern hat der Autor ganz gewiss auch eine Art
persönlicher Bilanz vorgelegt. Während das erste Werk die mehr
theoretischen Erfahrungen und Einsichten seines Schaffens reflektiert,
bilden die vielfältigen Erfahrungen als Gutachter in der
Entwicklungszusammenarbeit wohl die Grundlagen des zweiten Werkes.
Insofern ist die Lektüre der Bücher nicht nur als Einführung für
Studierende zu empfehlen, es handelt sich vielmehr auch um eine
Pflichtlektüre für alle in diesen Bereichen tätigen Fachkräfte. Auch
dem Selbstbild des Autors, der durch seine Arbeiten einen Beitrag zur
Verbesserung der Lebensbedingungen der armen Menschen des Südens
leisten will, kann abschließend nur Respekt gezollt werden
Walter Thomi, Halle/Saale
Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg 51 Heft 2/2007