Vor 25 Jahren gab es in den Höhen der kolumbianischen, dem Pazifik
zugewandten Cordillera Occidental noch weitgehend unberührte Gebiete,
die kaum ein Mensch betreten hatte. Im Rahmen des Projekts „Ecoandes“
hat eine Gruppe von holländischen und kolumbianischen Forschern an
Hand von multidisziplinären Studien das Gebiet des Tatamá-Massivs
erforscht. Die Feldarbeit erfolgte 1983 entlang von zwei Transekten
etwa in Höhe von 5° nördlicher Breite. Der erste Transekt lag zwischen
500 und 2150 m, der zweite etwas weiter nördlich zwischen 2150 und
4200 m. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen nun als Band sechs
der Reihe „Studies on Tropical Andean Ecosystems“ unter dem Titel „La
Cordillera Occidental Colombiana Transecto Tatamá“ vor, ediert von
T. van der Hammen, J. O. Rangel & A. M. Cleef.
Im Vorwort schildern die Herausgeber die geradezu unwirkliche
Schönheit der Landschaft in den Hochlagen des Tatamá-Gebirges: weite
durch Gletscher geformte Täler, die Hänge überzogen von hochandinem
Primärwald, in den Tälern Seen und Sümpfe mit offener
Páramo-Vegetation, darunter die berühmten „frailejones“ (Espeletia
frontinoensis, Asteraceae), deren mächtige Stammrosetten die
Einzigartigkeit der Páramo-Vegetation symbolisieren. Man glaubt, die
Emotionen zu spüren, die Begeisterung für eine Naturlandschaft ohne
jeglichen menschlichen Einfluss, als die Teilnehmer der Expedition den
Tälern poetische Namen zuweisen. Auf ihr Betreiben hin wurde die
Region 1986 zum Nationalpark erklärt.
Der umfangreiche Band enthält 30 Beiträge. Sie sind in den meisten
Fällen auf Spanisch verfasst und mit einem teilweise ausführlichen
Summary versehen. Die englischsprachigen Artikel enthalten eine
spanische Zusammenfassung oder sind wörtlich ins Spanische
übertragen. Der Einführung (Kapitel 1) folgen sechs Abhandlungen
(Kapitel 2-7) über Geologie und Klima unter Berücksichtigung
historischer Aspekte. Die nächsten fünf kurzen Darstellungen betreffen
zoologische (Kapitel 8-10: Würmer, Mesofauna und Ameisen) sowie
mykologische Bereiche (11,12). Zunächst geht es um die Verbreitung und
Ökologie von Makromyceten (Aphyllophorales, Agaricales, Xylariales,
Helotiales s. l.). Die Funde sind allerdings oft nicht einmal bis zur
Gattung bestimmt. Es schließt sich eine Abhandlung über Flechten an,
die 36 Arten von hauptsächlich Großflechten auflistet. Gut vertreten
ist die Gattung Sticta, deren Arten sich jedoch mangels einer modernen
Bearbeitung nicht bestimmen lassen. Dringend erforderlich sind
zusätzliche Aufsammlungen – und zwar durch Lichenologen – vor allem
von Krustenflechten sowie von Arten aus dem Kronenbereich. Die
nächsten Beiträge (13,14) behandeln die altitudinale Zonierung der
Bryophyten in den kolumbianischen Anden. Kapitel 15 ist ein Katalog
aller 1586 Arten von Gefäßpflanzen des Tatamá-Massivs. Sie gehören zu
159 Familien und 591 Genera. Die artenreichsten Dikotylengattungen
sind Miconia (44 Arten), Peperomia (26), Solanum und Cavendishia (je
24). Bei den Monocotylen nehmen Anthurium (27), Guzmania (17) und
Pleurothallis (11) die ersten Plätze ein. Im Familienrang liegen die
Asteraceae (106), Melastomataceae (99) und Rubiaceae (90) vorne. Unter
den Gymnospermen ist lediglich Podocarpus oleifolius vertreten. Der
16. und 17. Beitrag beschreibt pflanzensoziologische Einheiten der
Páramo- und der Wald-Vegetation des Tatamá-Massivs. Im 18. Beitrag
wird versucht, Luftaufnahmen zur Vegetationserhebung zu nutzen. Eine
phytogeographische Auswertung der Gefäßpflanzen im 30 km² großen
Tatamá-Páramo zwischen 3500 und 4100 m erfolgt im Kapitel 19. Die 134
vorkommenden Gattungen werden nach ihren Herkünften, z. B. in
neotropische (am stärksten vertreten), holoarktische und
kosmopolitische Elemente aufgeschlüsselt. Es folgt eine
Charakterisierung der Blatteigenschaften der Vegetation im Transekt
(Kapitel 20). Erwartungsgemäß nimmt die Größe der Blatt-Lamina mit
zunehmender Höhe ab und zwar besonders deutlich an der trockeneren
Ostseite, Dicke und Konsistenz nehmen zu. Drei Arbeiten (Kapitel
21-23) betreffen palynologische Studien. Wieder einmal zeigt sich,
dass Pollen über größere Distanzen vertragen werden kann. Kapitel 24
beinhaltet eine Analyse der Struktur und des Artenreichtums der
Vegetation. Am Schluss des Bandes finden sich mehrere Kapitel (25-29)
über geologische, geographische, floristische und faunistische
Erhebungen in anderen Páramo-Gebieten der Cordillera Occidental,
teilweise wieder mit Artenlisten. Im biogeographisch definierten
Chocó, der nicht nur das ebenso genannte Departamento umfasst, sondern
den gesamten Küstenstreifen des Landes zwischen Pazifik und den
Ausläufern der Cordillera Occidental („Andén Pacífico“), treten 94
Vegetationstypen und über 5000 Arten von Gefäßpflanzen auf und damit
rund ein Fünftel des gesamten Artenbestandes Kolumbiens. Das
hochdiverse Gebiet ist bekannt wegen seines Niederschlagsreichtums mit
teilweise über 12.000 mm Regen pro Jahr. Übernutzung der Mangroven,
Garnelenfarmen, Anbau von Afrikanischer Ölpalme und Ausdehnung der
Weidegebiete sind einige der Aktivitäten, die hier wie anderswo die
biologische Vielfalt bedrohen. Das letzte Kapitel (30) vergleicht die
Ökosystemstufen an den West- und Ostflanken der Cordillera Occidental.
Die Beiträge sind mit insgesamt 156 Abbildungen, 114 Tafeln und 113
Photos versehen. Hervorhebung verdienen die 31 Zeichnungen im Kapitel
17, die Physiognomie und Struktur von Waldassoziationen in Profilform
anschaulich machen. Ihnen sind jeweils bis zu acht Photos zugeordnet,
deren Qualität zu wünschen lässt. Das hat seine Ursache allerdings
auch in den Schwierigkeiten, photographische Übersichten in tropischen
Regen- und Nebelwäldern zu erstellen. Die einzelnen Kapitel
unterscheiden sich deutlich bezüglich Länge (von zwei bis 175 Seiten)
und Dichte an Information. Sie enthalten Überflüssiges (etwa Listen
von Sammelnummern) und Wiederholungen. Manche Ergebnisse können nicht
mehr als vorläufig sein. Ein Stichwortverzeichnis oder Index der Taxa
ist nicht beigegeben. Lediglich von den 14 Erstautoren erfährt man die
Adressen, von sieben weiteren Autoren fehlen sie. Am Ende von Beitrag
20 fehlen einige Literaturzitate. Kapitel 19 hat keine spanische
Zusammenfassung. Die Schreibweise der Autoren weicht bisweilen im
Autorenverzeichnis (p. V), der Inhaltsübersicht (p. IX-XI) und im Kopf
der Artikel voneinander ab.
Die vorliegenden Arbeiten liefern fast eine Naturgeschichte des
Tatamá-Massivs. Das Hauptgewicht der Darstellungen liegt naturgemäß
auf den Gefäßpflanzen, die seit jeher aus einsichtigen Gründen bei der
Erforschung Vorrang finden. Anerkennenswert ist aber der Versuch der
Herausgeber, auch andere Organismengruppen, ohne die kein Ökosystem
funktionieren kann, einzubeziehen, auch wenn hier der kümmerliche
Kenntnisstand besonders ins Auge fällt. Der Band bietet eine Fülle von
Messergebnissen, Beobachtungen, floristischen Erhebungen, Vergleichen
und Literaturzitaten. Er dokumentiert das Bekannte und gibt reichlich
Anregungen für all das Viele, das es zu leisten heißt, bevor wir
tropische Lebensgemeinschaften besser verstehen. Ohne grundlegende
Kenntnisse, insbesondere ökologische Daten und Inventarien der
vorkommenden Organismen, ist kein Fortschritt zu erwarten. Hier beste
Basisarbeit unter schwierigen Bedingungen geleistet zu haben, ist das
Verdienst von Autoren und Herausgebern. Jeder Biologe, der
Informationen über die Anden des nördlichen Südamerikas sucht, über
die Wälder an ihren Flanken und den Páramo in den Hochlagen, wird das
Werk mit großem Nutzen zu Rate ziehen.
P. Döbbeler
Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft 2007