Das handliche Algen-Bestimmungsbuch mit praktischer Ringbindung,
eingeleitet durch kurze und prägnante Abschnitte zu Algenhabitaten,
Sammeltechniken und dem Gebrauch von Schlüsseln, ist vor allem für den
Platz neben dem Mikroskop im Kursraum gedacht. Nach neun Jahren geht
es in seine 2. Auflage – das Konzept ist tradiert, seit 1954 war “How
to know the freshwater algae” von G.W. Prescott Begleiter vieler
Studentengenerationen bei der ersten Bekanntschaft mit der
faszinierenden Welt der Süßwasseralgen. Dennoch muss gefragt werden:
Ist die Herausgabe eines solchen Buches mit streng dichotomen
Schlüsseln und Strichzeichnungen heute im Zeitalter von Multimedia und
Internet noch zeitgemäß und sinnvoll?
Zeitgemäß im Sinne von “modern” sicher nicht, sinnvoll schon, da das
Buch zur Beschäftigung mit dem meist mikroskopischen Objekt zwingt und
durch die Strichzeichnungen eine gewisse Erfolgskontrolle bietet. Die
Strichzeichnungen sind von unterschiedlicher Qualität, meist gut
brauchbar, hervorragend, wo unterschiedliche Ansichten oder Stadien
einer Alge gezeigt werden (S. 39: Euastrum, S. 42: Xanthidium, S. 124:
Sphaerozosma, S. 128 Desmidium), selten schlecht, (wenn die relevanten
Gattungsmerkmale zu undeutlich dargestellt werden, S. 17: Mallomonas,
S. 21 Chroomonas, S. 171: Achnanthes) und in den wenigsten Fällen
völlig ungeeignet (S. 19: Lepocinclis mit fehlenden ringförmigen,
paarigen Paramylonkörpern). Eine mit relativ geringem Aufwand für eine
eventuelle 3. Auflage durchzuführende Ergänzung wäre ein μm-Balken pro
Zeichnung, und eine Kennzeichnung gezeichneter Strukturen (siehe etwa
auf S. 170), um ein Selbststudium zu erleichtern.
Man mag nun fragen, was das spezifisch “amerikanische” an den
vorgestellten Algengattungen ist. Die Gattungen sind in den
Vereinigten Staaten von Amerika keine anderen, als in Europa oder
Asien, daher kann das Buch weltweit, zumindest in den gemäßigten
Breiten der Nordhemisphäre, eingesetzt werden. Amerikanisch sind
allenfalls die Gattungskonzepte, wo es zwischen der nordamerikanischen
taxonomischen Tradition und der des kontinentalen Mitteleuropa
Unterschiede gibt. Beispielsweise wird die ungenügend definierte
Gattung Arthrodesmus (S. 41) genannt, nicht die Gattung Staurodesmus,
die spätestens seit 1993 als “name in current use” gilt. Die genannte
Gattung Errerella (S. 100) wird in Europa allgemein als taxonomisches
Synonym von Micractinium angesehen, die genannte Gattung Diceras
(S. 31) als taxonomisches Synonym von Bitrichia. Gattungsautoren
werden nicht genannt, was durch eine Internetrecherche in den
relevanten Internet-Datenbanken kompensiert werden kann.
Das Buch stößt überall dort an seine Grenzen, wo die begründete
Neubewertung von Gattungen nicht nachvollzogen werden kann. Die
Abtrennung der Gattung Desmodesmus von Scenedesmus wird erwähnt, nicht
aber, dass Desmodesmus die Vertreter mit Schwebeborsten umfasst. Für
beide Gattungen gibt Dillard Abbildungen (S. 104), die allerdings ohne
Kenntnis der zitierten Spezialliteratur nicht richtig zugeordnet
werden können. Die Gattung Peridinopsis wird nicht von Peridinium
getrennt, die ökologisch wichtigen Blaualgengattungen Limnothrix und
Planktothrix nicht von Oscillatoria; Cylindrospermopsis nicht von
Cylindrospermum. Natürlich kann ein so kompaktes Bestimmungsbuch nicht
alle neuen Strömungen aufgreifen, aber mehr Hinweise auf substanzielle
taxonomische Neubewertungen wären durchaus hilfreich.
Die Neuerungen der 2. Auflage, die erweitere Literaturliste, das
Glossar für die verwendeten morphologischen Begriffe, sind zu
begrüßen. Am neuen Abschnitt über die Diatomeen ist positiv zu werten,
dass diese Schlüsselgruppe der Mikroalgen erwähnt und kurz vorgestellt
wird. Trotzdem bleibt ein Bestimmungsbuch der Süßwasseralgen ohne
ausführlichere Behandlung der Diatomeen eine halbe Sache, der Hinweis
auf die Bestimmungsliteratur von Krammer & Lange-Bertalot (1986ff)
fehlt. Optimal wäre eine Behandlung der Diatomeen mit einer
Gegenüberstellung von Schalenstruktur (siehe Prescott 1954, 1964,
1978) und einer Zeichnung der lebenden Zelle nach dem Vorbild von Cox
(1996) bei einer zugrunde gelegten modernen Gattungskonzeption.
Dennoch bleibt das Werk unter dem Strich ein solides Bestimmungsbuch
auf Gattungsebene für die Kurspraxis; einsetzbar vor allem in der
Hochschullehre in Vorbereitung auf die Bestimmungsarbeit in der
Forschung, die eine Vielzahl spezialisierter Werke nutzt.
Wolf-Henning Kusber
Willdenowia 38(2), 2008