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Das Wachstum von Fruchtkörpern höherer Pilze erfordert die unpolare
Einfügung neuen Zellwandmaterials. Dies setzt eine partielle Lyse der
Zellwandpolysaccharide voraus. Daher wurden die Aktivitäten
endogener zellwandabbauender Enzyme in Fruchtkörpern des
Basidiomyceten Pleurotus ostreatus, die auf sterilisiertem
Cassia—Substrat angezogen wurden, untersucht, um zu einer
Modellvorstellung der enzymatischen Regulation des
Fruchtkörperwachstums zu gelangen. Hierzu wurde zunächst eine
Rohlösung zellwandständiger Enzyme verwendet, da ein Vergleich von
Pherogrammen solcher Lösungen aus verschiedenen Fruchtkörpern und
Mycelien dieses Präparat als geeignet erscheinen ließ. Die im
Vergleich zum Mycel erheblich komplizierteren Proteinspektren des
Fruchtkörpermaterials belegten zugleich die stärkere Differenzierung
auf dieser Entwicklungsstufe. Quantitative Bestimmungen zeigten, daß
thermotolerante Fruchter niedrige R-glucanolytische und
chitinolytische Aktivitäten aufwiesen, während temperatursensitive
Stämme hohe Aktivitäten gegen die alkaliunlösliche Zellwandfraktion
erreichten. Diese Unterschiede waren weder durch verschiedene
Temperatur- oder pH-Optima noch durch verschiedene Thermolabilität
oder Substratspezifität verursacht.
Die Thermotoleranz beim Fruchten wird durch einen dominanten
Mendelfaktor bestimmt, dessen Ft-Allel die gesamte Entwicklung von der
Anlage bis zum reifen Fruchtkörper kontrolliert (Li, 1980). Damit
können die Niedrigtemperatur-Fruchter als temperatursensitive
Verlustmutanten angesehen werden. Es wurde daher geprüft, ob die
Hochtemperatur-Fruchter einen Inhibitor für die morphogenetisch für
wichtig gehaltenen zellwandlysierenden Enzyme bilden, der den
Niedrigtemperatur-Fruchtern fehlte. Mischungen von Rohlösungen aus
beiden Gruppen von Stämmen bestätigten die Idee eines überschüssigen
negativen Effektors jedoch nicht.
Auch die spezifischen proteolytischen Aktivitäten in der Rohlösung
zellwandständiger Enzyme waren verschieden. Im Gegensatz zu den
Chitinasen- und R-Glucanasen-Aktivitäten waren sie jedoch in den
thermotoleranten Stämmen höher. Also könnten Proteasen als
Inaktivator fungieren. Die nähere Charakterisierung der Proteasen
ergab für beide Gruppen von Stämmen Unterschiede hinsichtlich
Temperatur- und pH-Optima sowie Thermolabilität, Substratspezifität
und Inhibierbarkeit. Die Inhibierung einer Metalloprotease, deren
isoelektrischer Punkt um 7,6 lag und die spezifisch war für
thermotolerante Fruchter, führte zu einem Anstieg, der Zusatz der
isolierten Metalloprotease zu einem Rückgang der zellwandlysierenden
Enzymaktivitäten.
Aufgrund dieser Befunde wurde ein Modell zur enzymatischen Regulation
des Fruchtkörperwachstums in Abhängigkeit von der Temperatur
entwickelt und diskutiert: Danach können die
Niedrigtemperatur-Fruchter bei Temperaturen über 20°C keine
Sporophoren mehr bilden, da durch eine zu hohe Lyse-Rate die für das
interkalare Zellwandwachstum notwendige Balance zwischen Synthese und
Lyse gestört ist. Dagegen können die Ft-Hochtemperatur-Fruchter bis
maximal 32 — 35°C fruchten, weil sie über Metalloproteasen verfügen,
die die autolytischen Enzyme partiell inaktivieren können, so daß die
Balance auch bei diesen höheren Temperaturen erhalten bleibt. Bei
weiter ansteigenden Temperaturen (um etwa 40°C) bricht durch
thermische Inaktivierung diese proteolytische Regulation zusammen.
Bei Experimenten, die die Perspektiven weitergehender Untersuchungen
prüfen sollten, wurde festgestellt, daß sich der Angriff der
Metalloprotease möglicherweise gegen eine endo-ß-1‚6-Glucanase
(Pustulanase) mit einem isoelektrischen Punkt um 8,4 richtet. Dieses
Enzym war in Zymogrammen aus Fruchtkörpern temperatursensitiver Stämme
nachweisbar, nicht jedoch bei thermotoleranten Fruchtern. Der
vermutete Zusammenhang zwischen der inaktivatorischen proteolytischen
Regulation der Pustulanase und dem Fr-Allel wurde durch die Zymogramme
eines Hybriden bestätigt. Weiter wurde gezeigt, daß die Aktivität der
Metalloprotease im Unterschied zu anderen ebenfalls nachgewiesenen
Protea sen mit zunehmender Wachstumstemperatur der Fruchtkörper
anstieg. Ein Vergleich der Zymogramme aus Fruchtkörper- und
dikaryotischem Mycelmaterial bestätigte die Annahme, daß beim Übergang
vom vegetativen Stadium zum Sporophoren auf enzymatischer Ebene
deutliche Veränderungen auftraten.
Abgesehen von dem in dieser Arbeit vorgestellten und diskutierten
Modell einer enzymatischen Regulation des Fruchtkörperwachstums wurden
auch zwei Fragen von praktischem Interesse berührt: So haben die
Pherogramme verschiedener Stämme des Austernseitlings gezeigt, daß mit
biochemischen Methoden ein Sortenschutz bei Pilzen möglich
ist. Darüber hinaus wurden Versuche zur Anbautechnik dieses
Speisepilzes auf Rückständen der Extraktion von Sennesblättern und
-früchten vorgestellt und diskutiert.