Die vorliegende Weltmonographie der Gattung Rosellinia ist das Produkt
von mehreren Jahrzehnten harter Arbeit. Die Autorin, Frau Dr. Liliane
E. Petrini, hat sich während dieser Zeit zur absoluten Spezialistin
für die Gattung und deren engeren Verwandtschaftskreis entwickelt,
nachdem sie bereits Mitte der 1980er Jahre im Rahmen ihrer
Doktorarbeit eine bahnbrechende monographische Abhandlung der
Xylariaceae und insbesondere ihrer Anamorphstadien vorgelegt hatte
(Petrini & Müller 1986). Das Buch baut auf einigen wichtigen, größeren
monographischen Arbeiten auf, in denen Teilergebnisse bereits
publiziert wurden (Petrini 2003; Petrini & Petrini 2005). Es stellt
aber die erste ausführliche Behandlung der Gattung Rosellinia dar, die
jemals veröffentlicht wurde.
Der Schwerpunkt liegt klar auf der Beschreibung der Morphologie der
Hauptfruchtform, also der uniperitheciaten, halbkugeligen Stromata mit
papillaten Ostiolen, die sich in der Regel auf einem Subiculum
entwickeln. Die Kulturen und Konidienstadien werden von den Arten, wo
man sie bislang beobachten konnte, ebenfalls genau
charakterisiert. Die einschlägigen fotografischen Abbildungen und
Zeichnungen sind hervorragend gelungen und zeigen insbesondere die
jeweiligen artcharakteristischen Merkmale auf. Da die Arten der
Gattung Rosellinia im Gegensatz zu anderen Xylariaceae-Gruppen wie
Hypoxylon s. str. nicht durch das Auftreten charakteristischer
Pigmente gekennzeichnet ist, macht es auch nichts aus, dass das Buch
keine farbigen Abbildungen hat.
Die Artbeschreibungen enthalten wie in Monographien üblich, jeweils
ausführliche Angaben zu den untersuchten Funden (geographische
Herkunft, Wirtspflanzen etc.) und Hinweise zur Abgrenzung von
verwandten Arten. Von den 142 behandelten Taxa sind nicht weniger als
37 neue Arten. Daneben wurde eine Art neu in Rosellinia kombiniert und
eine weitere Art validiert. Die bekannten Arten wurden, wo immer
möglich, an Hand des Typusmaterials ausführlich charakterisiert und
illustriert. Der Übersicht halber werden die Daten zur bekannten
Wirtspezifität und zur bekannten biogeographischen Verbreitung der
einzelnen Arten im Appendix nochmals in Tabellenform zusammengefasst.
Besonders hilfreich sind auch wertvolle Hinweise auf Unterschiede zu
morphologisch ähnlichen Gattungen wie Astrocystis,
Coniolariella und Stilbohypoxylon, sowie einigen
„rosellioiden“ Arten der Gattung Hypoxylon (wie
H. lenormandii), die jeweils unter Berücksichtigung der
historischen Literatur verfasst wurden. Diese Informationen bilden die
Basis für einen aufschlussreichen Bestimmungsschlüssel, der sicherlich
auch die meisten interessierten fortgeschrittenen Freizeitmykologen in
die Lage versetzen wird, eine Rosellinia sp. auf Anhieb von
morphologisch ähnlichen Gattungen zu unterscheiden. Glücklicherweise
bevorzugt Frau Petrini ein sehr enges Artenkonzept. Dies macht zwar
die Bestimmung von frisch gesammelten Belegen etwas aufwändiger, aber
im Gegenzug wird die Zuordnung zu heterogenen „Sammelarten“ vermieden,
wie das z.B. bei der Gattung Hypoxylon jahrzehntelang der Fall
war.
An Hand der oben erwähnten vergleichenden morphologischen Studien
wurden Charakteristika entwickelt, nach denen sich die Gattung in
sieben Gruppen einteilen lässt. Diese Gruppen werden über hervorragend
ausgearbeitete dichotome und synoptische Bestimmungsschlüssel
voneinander abgegrenzt, und zuletzt auf Artrang weiter
aufgeschlüsselt. Eine Unterteilung der Gattung in Subtaxa wird bewusst
und meiner Ansicht zu Recht vermieden, weil einfach noch zu wenig über
die Anamorphstadien und die Phylogenie der meisten Arten bekannt ist,
und von vielen nur der Holotypus oder wenige zusätzliche Belege
existieren.
Zwei meiner Doktoranden und ich selbst haben an Hand von
Frischmaterial, das wir in den vergangenen Jahren in Argentinien und
Afrika fanden, die Bestimmungsschlüssel selbst ausprobiert und können
bezeugen, dass sie sehr hilfreich sind, um sich in dieser großen und
weitgehend unbekannten Gattung zu Recht zu
finden. Bemerkenswerterweise haben wir auch zwei Belege gefunden, die
möglicherweise bislang unbeschriebene Arten darstellen könnten.
Es bleibt allerdings zu bemerken, dass die Kriterien für die
Aufstellung dieser sieben Gruppen (Länge/Breite-Verhältnis der
Ascosporen, Komplexität der Anamorphstrukturen, Dicke der Stromata,
Ausdehnung des Subiculums) keineswegs als „harte“ Kriterien für eine
phylogenetische Verwandtschaft zu deuten sind. Sie sollen vielmehr die
Erkennung bekannter Arten erleichtern und die Basis für die Entdeckung
neuer Arten bilden, von denen es durchaus auch in Deutschland und
Europa noch einige geben dürfte! Selbst der Großteil der momentan
akzeptierten Taxa beruht auf einer oder nur wenigen Aufsammlungen, und
über die Chorologie, Biogeographie und Ökologie der meisten Arten von
Rosellinia ist kaum etwas bekannt.
Wie bei den meisten anderen Pilzgruppen auch, wird es zukünftig
notwendig sein, die betreffenden Arten in frischem Zustand wieder zu
finden und möglichst in Laborkultur zu nehmen, damit eine Einteilung
unter den Gesichtspunkten der modernen Taxonomie ermöglicht wird.
Neben den Typusbelegen der akzeptierten Arten sind auch andere
Herbarbelege, die weltweit unter Rosellinia in den vergangenen
ca. 150 Jahren hinterlegt wurden, gelistet und ihr Zustand ist
beschrieben. Wie auch bei vielen anderen Pilzgruppen, so ist leider
auch bei Rosellinia ein Großteil der Typusmaterialien
unbrauchbar oder nicht mehr aufzufinden. Auch diese Informationen
sind, vor allem im Hinblick auf eine Weiterbearbeitung der Gattung,
äußerst hilfreich.
Die vorliegende Monographie wird ohnehin sehr wertvoll sein, weil die
Gattung Rosellinia in letzter Zeit auch stark in den Fokus der
angewandten Wissenschaft gerückt ist. Wie in der vorliegenden
Monographie in einem separaten Kapitel beschrieben wird, sind einige
Arten von Rosellinia, v.a. aus der R. necatrix Gruppe,
schon lange als Pflanzenpathogene bekannt und richten überall auf der
Welt großen Schaden an. Es handelt sich offenbar um Artkomplexe, die
bislang sehr schwierig zu trennen waren. Andererseits wurde, wie in
einem separaten Abschnitt aufgezeigt ist, bislang fast nur R. necatrix
selbst auf Bildung biologisch aktiver Sekundärstoffe eingehend
überprüft. Dabei wurden Cytochalasine und andere Toxine mit
phytotoxischer Wirkung gefunden, die vermutlich Pathogenitätsfaktoren
darstellen.
Es ist für mich etwas verwunderlich, dass die Autorin nicht
ausführlicher auf die Tatsache eingegangen ist, dass die
Anamorphstadien diverser Rosellinia-Arten wie fast alle Xylariaceae
häufig als Endophyten auftreten. Schließlich hat sie auch in dieser
Hinsicht früher Pionierarbeit geleistet und sogar einen
Bestimmungsschlüssel für endophytische Xylariaceae an Hand der
Merkmale in Kultur erstellt (Petrini & Petrini 1985) - lange bevor die
aktuellen molekularökologischen Methoden, mit denen sich die Ökologie
der pilzlichen Endophyten detailliert untersuchen lässt, entwickelt
wurden.
Pilzliche Endophyten werden seit ca. 20 Jahren sehr hoch gehandelt,
was ihre Befähigung zur Produktion „nützlicher“ Sekundärstoffe angeht
und es wurden Hunderte neuer Moleküle in diesen Organismen
gefunden. Der einzige Sekundärstoff aus einem solchen Endophyten, der
bereits zu einem Marktprodukt geführt hat, ist das nematizide
Depsipeptid „PF-1022A“, welches biotechnologisch produziert und nach
chemischer Veredlung als Antiparasitikum (Emodepsid) in der
Veterinärmedizin Einsatz findet. Nach neueren Erkenntnissen der
Molekularphylogenie gehören die Produzenten der Verbindung der Gattung
Rosellinia an, und zwar den als saprotroph geltenden Arten wie
R. corticium.
Die vorliegende Monographie, bei der erstmals alle vorliegenden
Informationen zur Taxonomie der Gattung zusammen getragen wurden, die
sich bislang nur zerstreut in der Fachliteratur fanden, kann
zweifelsohne eine hervorragende Grundlage sein, um künftig nicht nur
die Phylogenie und Biogeographie von Rosellinia, sondern auch den
Lebenszyklus der endophytisch-saprotrophen Vertreter weiter aufklären
zu können oder chemotaxonomische Untersuchungen zu beginnen.
Prof. Dr. Marc Stadler
Zeitschrift für Mykologie - 2017 – Deutsche Gesellschaft für Mykologie