Die vorliegende Monographie stellt Ergebnisse eines bemerkenswerten
Projektes dar, in dem exemplarisch das höhere Unter-Miozän
(Karpathium) des paratethyschen Randbeckens von Korneuburg
hinsichtlich Fossilinhalt und Sedimentationsgeschichte untersucht
wurde [Teil 1 erschien 1998 als Band 23 derselben Zeitschriftenreihe;
Inhalt von Teil 2 in vorliegender Zeitschrift, 2003 (3-4), Ref. 416;
die Schriftleitung]. Als Besonderheit ist hervorzuheben, daß eine
Sammlergruppe die Dokumentationsarbeiten in privatem paläontologischem
Engagement über viele Jahre wissenschaftlich fokussiert betrieb. Die
so gewonnene Datenbasis wurde von Fachwissenschaftlern der
unterschiedlichsten Richtungen bearbeitet und in einer Synthese zur
Rekonstruktion eines komplexen Ablagerungsraumes mit zahlreichen, sehr
detailliert nachgestellten Lebensräumen zusammengeführt.
Der Band enthält die Bearbeitung der Silicoflagellaten von
H. STRADNER, Pollen und Sporen von C. C. HOFMANN, R. ZETTER
&I. DRAXLER, Hölzer von O. CICHOCKI, Seerosen von H.-J. GREGOR,
Scaphopoden und marinen bis brachyhalinen Gastropoden von
M. HARZHAUSER, der Land- und Süßwasser-Gastropoden sowie Beiträgen
über fossile Perlen, Asteroideen und Bohrspuren an Molluskenschalen
und in Pflanzenresten von H. BINDER, der marinen bis brachyhalinen
Bivalven von P. CTYROKY, einer Cephalopodenart von O. SCHULTZ, der
Anthozoen und Hydrozoen von K. KLEEMANN, einer lichenoporen Bryozoe
von K. KLEEMANN & K. ZAGORSEK, der Bryozoa von B. SCHMID, der
Echiniden von A. KROH, der Ophiuroiden von C. A. MEYER und der
niederen Vertebraten von M. BÖHME. Weitere kleine Beiträge
beschäftigen sich mit Crustaceenbauten (P. PERVESLER), Schildkröten
(R. GEMEL, M. GUMPENBERGER), Nashörnern (K. HEISSIG), einem Delphin
(L. G. BARNES) und der Bergung zweier großer Fossilplatten
(W. SOVIS). Die paläoökologische und biostratigraphische Synthese
schrieben schließlich M. HARZHAUSER, M. BÖHME, O. MANDIC und
C. C. HOFMANN.
Die Aufmachung des Bandes ist aufwendig (Hardcover), das Layout
einheitlich, ohne daß man den einzelnen Autoren zu wenig Freiheit
bei der Gestaltung der Beiträge eingeräumt hätte. Als unpassend
empfindet man jedoch, daß einzelne Artikel in dem sonst einheitlich
deutschsprachigen Buch in Englisch abgefaßt sind. Insbesondere für
die Synthese ist dieses nicht zu verstehen. Hier wäre zu empfehlen
gewesen, eine gekürzte englische Version in einer internationalen
Zeitschrift parallel zu publizieren.
Der größte Teil des Buches, etwa die Hälfte, ist den Mollusken
gewidmet, die auch neben den Mammaliern und den Pflanzen, welche
hauptsächlich in Teil 1 abgehandelt wurden, die wichtigste Gruppe für
die paläoökologischen und klimatologischen Auswertungen darstellt.
Bei der Bearbeitung der Gastropodenfauna fällt auf, daß die
Gesamtdiversität mit 132 Arten für einen nahezu tropischen Bereich
erstaunlich gering ist, verglichen mit gleichaltrigen Faunen des
Burdigalium des Aquitanischen Beckens (>500 Arten) oder sogar des
Nord- Lehrbücher, zusammenf. Darstellungen, Bibliographien 595
seebeckens (>350 Arten). Insbesondere ist der geringe Anteil an
Kleingastropodenarten und die Seltenheit der meisten Arten zu nennen.
Die Entscheidung fällt schwer, ob die einstigen Biozönosen, die
Taphonomie oder die Sammlungssystematik hierfür verantwortlich
sind. Hier wären Untersuchungen zur sekundären Diversität und Dominanz
einzelner Proben der Fundstellen sehr interessant gewesen. Gleiches
gilt für die Bearbeitung der Bivalven. Etwas mehr Sorgfalt hätte man
auf die Anfertigung der Tafeln verwenden können, die großteils sehr
nichtssagende Bilder mit wenigen Details enthalten und mit zu geringem
Kontrast gedruckt sind.
Die Land- und Süßwasser-Gastropodenfauna ist mit 30 Taxa recht
artenreich. Die Angaben zu möglichen Lebensräumen ist sehr gelungen,
die fotographische Dokumentation auf 10 Tafeln sehr umfangreich
und mit Bildern von Skulpturdetails ziemlich informativ.
Der integrative Ansatz des Projektes wird besonders daran deutlich,
daß alle Fossilgruppen, auch Spurenfossilien, bearbeitet wurden.
Daraus ergibt sich eine ideale Datenbasis für die biofaziellen Ausdeutungen.
Es verwundert lediglich, daß keine Süßwassermuscheln
erwähnt werden. Selbst deren Fehlen wäre eine Erwähnung wert
gewesen, da man Süßwasser- und Landschnecken in beträchtlicher
Zahl an den Fundstellen feststellte und Süßwassermuscheln demnach
zu erwarten gewesen wären.
Ein herausragender Teil des Bandes ist die paläoökologische und
biostratigraphische Synthese, die als äußerst gelungener Entwurf
eines vierdimensionalen Lebensbildes des Untersuchungsgebietes
angesehen werden muß.
Neben der faunistischen Auswertung dienen statistische Untersuchungen
der Absicherung der Daten. Leider ist in der Arbeit die Natur
der zugrundeliegenden Proben (Beprobungstechnik, manuelle Auswertung
etc.) nicht dokumentiert; jedoch sind die Ergebnisse sinnvoll
und glaubhaft. Die aus den verschiedensten Auswerteansätzen gewonnenen
Daten zu Wassertiefen, Salinitäten, Hinterlandmorphologie,
Vegetation, Lebens- und Totengemeinschaften und Klima diskutiert
man zusammenfassend, prüft man auf Konsistenz und wägt sie gegeneinander
ab. Das daraus sich ergebende Gesamtbild wird in anschaulichen
Abbildungen unter Berücksichtigung der zeitlichen Achse dargestellt
und unterstrichen.
Ähnlich konsequent betriebene und zu Ende geführte interdisziplinäre
Projekte sind dem Rez. aus der Literatur nicht bekannt, obwohl
zahlreiche Regionen Europas ein gleichwertiges Potential aufweisen.
Hier zeigt sich, wie befruchtend eine koordinierte Zusammenarbeit
von Laien- und Fachwissenschaftlern in der Paläontologie sein kann,
die bei der Tendenz zu immer stärkerem Protektionismus im Hinblick
auf Zugänglichkeit und Sammlungsmöglichkeit an Fossilfundstellen
immer schwieriger wird.
"Das Karpat des Korneuburger Beckens" ist trotz seines stolzen
Preises allen wissenschaftlich mit der Rekonstruktion fossiler Lebensräume
beschäftigten Personen und insbesondere Paläontologen, die
die Ausgrenzung von Amateurwissenschaftlern durch allgemeine
gesetzliche Unterschutzstellung von Fossilien als Kulturgüter für eine
adäquate Maßnahme zum Schutz ihrer Interessen ansehen, als Lektüre
empfohlen. Selbstverständlich werden auch Amateurwissenschaftler
und Sammler ihre Freude an dem Werk haben.
K. GÜRS
Zentralblatt für Geologie und Paläontologie Teil II, Jg. 2003, Heft 5-6