Das Wort Menarche hat seinen Ursprung in der griechischen Sprache. In
der wissenschaftlichen Literatur wurde dieser Begriff Menarche
erstmals von STRATZ im Jahre 1908 verwendet. Er bezeichnete damit den
Zeitpunkt des Auftretens der ersten Menstruation. Diese inhaltliche
Bedeutung des Wortes hat auch heute noch Gültigkeit.
Das Auftreten der Menarche kann zwar nicht als Zeichen für die volle
Ausprägung der reproduktiven Funktion gewertet werden - häufig treten
die ersten Menstruationen noch unregelmäßig auf und sind
anovulatorisch - es kennzeichnet jedoch ein bestimmtes - vermutlich
matures - Stadium der Uterusentwicklung. Da dieses qualitative, in der
körperlichen Entwicklung von Mädchen bedeutende Ereignis genau
datierbar ist, wurde ihm in der wissenschaftlichen Literatur - nicht
nur der medizinischen und biologisch-anthropologischen -, die sich mit
Problemen der Pubertätsentwicklung befaßt, schon seit alters her
besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Aufzeichnungen über das Menarchealter in Europa finden sich bereits in
Schriften des griechischen Arztes Hippokrates (460-377 v. Chr.) und
des griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.). Die aus
dem historischen Schrifttum bis einschließlich 19. Jh. bekannten
Angaben zum Menarchealter in Europa werden in Kap. 3 des vorliegenden
Buches behandelt. Schon relativ früh wurde die Variation des Alters
beim Auftreten der ersten Menstruation mit verschiedenen Parametern
wie "Temperament" (zurückführbar auf die Säftelehre des klassischen
Altertums), Klima , Herkunft (Stadt - Land), etc. beobachtet. Es
folgten - insbesondere im 19. und 20. Jh. - eine Vielzahl von
Untersuchungen über den Einfluß der verschiedensten Faktoren auf den
Menarcheeintritt.
Trotz einer Vielzahl bereits publizierter Arbeiten zu diesem Thema
weitere Untersuchungen notwendig, um die Diskussion um die Bedeutung
einzelner Faktoren bzw. Faktorenkomplexe sowie deren Wechselwirkungen
für die Variabilität des Menarchealters voranzubringen. Aufschluß ist
hier von Ergebnissen zu e rwarten, die unter Anwendung multivariater
statistischer Methoden zur Datenanalyse in Untersuchungen mit einem
umfassenden multifaktoriellen Ansatz gewonnen wurden.
Unklarheit besteht auch über die Bedeutung des Faktors Zeit für die
Variabilität des Menarchealters. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde
erstmals auf das Phänomen einer Vorverlegung der körperlichen Reife
hingewiesen (vgl. Kap. 4.1, S. 27). Es folgten eine Reihe von
Untersuchungen, in denen Beginn, Verlauf und Ausmaß des sogenannten
säkularen (lat.: saeculum: Menschenalter, langer Zeitraum) Trends in
der körperlichen Entwicklung in verschiedenen Ländern mit
unterschiedlichen Methoden analysiert wurden. Am bekanntesten und in
der Literatur am weitesten verbreitet ist die zusammenfassende
Bewertung des Trends im Menarchealter durch den bekannten Auxologen
TANNER. Nach seiner Analyse der Literaturdaten beträgt die
Vorverlegung des Menarchealters in Westeuropa in der Zeit von 1830 bis
1960 etwa 4 Monate/Jahrzehnt (vgl. Kap. 4.4, S. 47).
Für die Vergleichbarkeit von Menarchealterdaten sind jedoch die
Stichprobenzusammensetzung und das methodische Vorgehen sowie deren
ausreichende Dokumentation von en tscheidender Bedeutung. Um dem Leser
einige Kriterien für die Bewertung der in Kap. 4 aufgeführten
Untersuchungen zur säkularen Akzeleration der körperlichen Reife an
die Hand zu geben , werden in den Kapiteln 2 und 3 zunächst allgemeine
Probleme der Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit von
Menarchealterdaten aufgezeigt. In Kap. 2 werden drei mögliche Methoden
zur Gewinnung und Analyse von Menarchealterdaten vorgestellt und im
Hinblick auf die soeben genannten Aspekte diskutiert. Schwierigkeiten, die sich vorwiegend aus einer unzureichenden Dokumentation von
Material und Methode ergeben, werden in Kap. 3 am Beispiel der dort
aufgeführten Literaturdaten aus dem klassischen Altertum, dem
Mittelalter und der Neuzeit bis Ende des 19. Jhs. aufgezeigt. Der
Darstellung von Untersuchungen zur säkularen Akzeleration des
Menarchealters in Europa schließt sich in Kap. 5 die Einordnung dieses
Phänomens in den Prozeß eines allgemeinen säkularen Trends in der
physischen Entwicklung an. Mögliche Ursachen und Folgen dieses Trends
we rden in den Kapiteln 6 und 7 diskutiert. Eine Zusammenfassung der
zuvor genannten Aspekte des Themas enthält Kap. 8.