1991 erschien posthum die von Walter Noll (1907–1987) verfasste
Publikation Alte Keramiken und ihre Pigmente. Studien zu Material und
Technologie. Noll , Chemiker und Mineraloge, befasste sich unter
anderem mit Fragen zu technischen Aspekten prähistorischer und
historischer Keramikproduktion, vorwiegend im östlichen Mittelmeer
raum und im Mittleren Osten, unter Anwendung weitgehend
zerstörungsfreier chemischer und mineralogischer Analysemethoden
(v. a. Röntgenfloureszenzanalyse und Rasterelektronenmikroskopie). Bei
seiner Ersterscheinung war Nolls Werk richtungsweisend für die damals
junge Forschungsrichtung der Archäometrie, konkret für die
Materialanalytik in der Keramikforschung und die Zusammenarbeit
zwischen Archäologen und Naturwissenschaftlern.
Die nun 2016 erschienene Publikation, Ancient Old World
Pottery. Materials, Technology, and Decoration, stellt die
überarbeitete und englische Version der deutschsprachigen
Originalarbeit dar. Die Aufgabe der Überarbeitung hat Robert
B. Heimann , wie Noll Mineraloge und archäologisch-historischen
Fragestellungen zugeneigt1, übernommen. Ihm ist nicht nur die
Herausgabe der englischsprachigen Version dieses Buches zu verdanken,
sondern auch eine sprachliche Überarbeitung der auch in der
deutschsprachigen archäologischen Keramikforschung teilweise nicht
mehr zeitgemäßen Terminologie. Die Schwäche der 1991 erschienenen
Originalausgabe, nämlich das Fehlen von Literaturangaben im Text
bzw. in Fußnoten, wurde in der vorliegenden englischsprachigen Ausgabe
behoben. Sie ist durchgehend mit höchst aktuellen Literaturverweisen
versehen und einem umfangreichen und auf den aktuellen Forschungsstand
erweiterten Literaturverzeichnis ausgestattet.
Die vorliegende Neuausgabe ist – wie die deutschsprachige
Originalversion – in fünf Hauptkapitel gegliedert: (1) Introduction
(Einführung), (2) Methods of investigation (Untersuchungsmethoden),
(3) Ancient ceramics (Antike Keramik), (4) Décor, design, and pattern
(Das Dekor) und (5) Regional ceramic developments (Regionales). Somit
wurde die Struktur der ursprünglichen Publikation beibehalten, auch
wenn Heimann betont, dass es sich bei der Neuausgabe keineswegs um
eine Eins-zu-eins-Übersetzung der deutschsprachigen Ausgabe handelt.
Kapitel 1, Introduction, geht auf die Betrachtungsmöglichkeiten von
Keramik ein. Keramik, der älteste vom Menschen künstlich hergestellte
Werkstoff, kann von unterschiedlichen Standpunkten aus untersucht
werden. Einerseits ist Keramik Dokument des kulturellen und
künstlerischen Entwicklungsstandes von Kulturen, andererseits kann man
sie auch materialanalytisch und hinsichtlich ihrer Herstellungsmethode
betrachten. Es sind also geisteswissenschaftliche und
naturwissenschaftliche Betrachtungsweisen von Keramik möglich. Dieser
interdisziplinäre Zugang mündet in der Archäometrie, die antike
Objekte mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht.
Kapitel 2, Methods of investigation, wurde im Vergleich zur
deutschsprachigen Ausgabe von 1991 erweitert. Noll ging naturgemäß
vor allem auf die bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren angewandten
Methoden ein. Sein Kapitel Untersuchungsmethoden behandelte
Untersuchungsmethoden zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung
von Keramik, ihrer verschiedenen Phasenbestände, welche die Vorgänge
in der keramischen Masse während des Brandes beschreiben, sowie ihrer
Mikromorphologie und ihres Gefüges. Hinsichtlich der chemischen
Zusammensetzung der Keramik zählten zu den beschriebenen Methoden die
Röntgenfloureszenzanalyse (XRFS) , die energiedispersive
Röntgenspektroskopie (EDXS), die Analyse mit der
Elektronenstrahl-Mikrosonde (EPMA) und die
Neutronenaktivierungsanalyse (NAA). Hinsichtlich der Untersuchung
keramischer Phasen und des Keramikgefüges ging Noll auf
Lichtmikroskopie und Rasterelektronenmikroskopie (SEM) ein. Die
englische Neuausgabe beschreibt im ersten Teil von Kapitel 2,
Instrumental analytics, all diese Methoden ebenso. Heimann geht jedoch
auch auf die Weiterentwicklungen der bereits von Noll erwähnten
Methoden ein und erweiterte das Kapitel um moderne Analysemethoden,
wie beispielsweise Totalreflexions-Röntgenfluoreszenzanalyse (TRFA) ,
Röntgen-Nahkanten-Absorptions-Spektroskopie (XANES) oder
Proton-induzierte Röntgenemission (PIXE) , und geht auch auf sinnvolle
Kombinationsmöglichkeiten einzelner Untersuchungsmethoden ein. Im
zweiten Abschnitt von Kapitel 2, Reconstruction of the manufacturing
process based on material analyses, gehen die Autoren auf die
Erkenntnismöglichkeiten durch archäometrische Untersuchungen zum
Herstellungsprozess ein. Diese werden in Kontext zu antiken
schriftlichen und bildlichen Quellen und auch zu heute noch
angewandten Techniken traditioneller Keramikherstellung gesetzt. Ein
kleiner Abschnitt im Kapitel 2 beschäftigt sich mit Möglichkeiten,
Fälschung zu erkennen.
Kapitel 3, Ancient Ceramics, beginnt mit den Unterschieden zwischen
antiker bzw. historischer und moderner Keramik, die mittlerweile eine
nie gekannte technische Perfektion erreicht hat, und der
Unterscheidung der verschiedenen historischen Keramikgattungen
(Irdenware, Steinzeug, etc.). Der folgende Abschnitt, The ancient
ceramic material, beschäftigt sich mit dem Chemismus von Keramik. Die
Autoren gehen auf ihre Hauptbestandteile, wobei das Hauptaugenmerk auf
Kalk liegt, die Nebenbestandteile wie Titan, Schwefel, Chlor, Phosphor
und die Spurenelemente, welchen bei der Bestimmung der Rohstoffquellen
besondere Bedeutung zukommt, ein. Ausführlich behandeln sie die
Phasenbestände, die bedeutend für die Rekonstruktion der Brandführung
sind. Ebenso ausführlich widmen sich die Autoren auch der Magerung,
die wesentlich für die Bestimmung von Keramikarten ist, und im Zuge
dessen auch der Korngröße, der Korngrößenverteilung sowie der
Porosität und schließlich der Farbe des Scherbens, die wesentlich von
Art und Gehalt von Eisenoxiden abhängt. Im folgenden Abschnitt,
Contemporary autochthonous ceramics as proxy for ancient materials,
wählen die Autoren einen ethnoarchäologischen Zugang zur
Keramikforschung, indem sie rezente, aber auf traditionelle Art
hergestellte Keramik (vorwiegend aus dem Mittelmeerraum) untersuchen
und mit ihren Ergebnissen archäometrischer Keramikanalysen in
Verbindung setzen. Auch auf die Rohstoffquellen gehen die Autoren im
Abschnitt Clays of contemporary autochthonous pottery ein. Einerseits
untersuchen sie die Rohstoffquellen traditioneller Töpferei in
Griechenland, Ägypten und im Irak, andererseits auch die potentiellen
Rohstoffquellen römerzeitlicher Keramik aus dem Rheinland und zeigen
so die Relevanz von Referenzproben auf. Der folgende Abschnitt,
Reconstruction of green clay processing methods, widmet sich
ausführlich der Aufbereitung und Verarbeitung des „grünen“
Tones. Besonders gehen die Autoren auf das Schlämmen und im Anschluss
auf die Methoden der Formgebung ein. Der nächste Abschnitt, The
ceramic firing process, geht auf den keramischen Brand ein, ebenso auf
die Aspekte der oxidierenden und reduzierenden Brandführung, der
Schmauchung sowie der Phasenbildung während des Brandes.
Kapitel 4, Décor, design, and pattern, beschäftigt sich mit der
Oberflächenbehandlung der Keramik. Es geht auf die keramische Bemalung
(vor dem Brand) vorwiegend in Schwarz
(Eisenoxidschwarz/Eisenreduktionstechnik und
Manganschwarz/Manganschwarztechnik im östlichen Mittelmeerraum),
Rot/Braun (Eisenoxidrot/Eisenoxidationstechnik) und Weiß, die seltener
anzutreffende Kaltbema- lung (nach dem Brand) mit Schwarz-, Rot-,
Weiß-, Grün-, Blau- und Gelbpigmenten, die Schmauchung, metallische
Applikation (aus Zinn, Zinnlegierungen, Blei, Gold und Silber) sowie
Glasuren ein.
Kapitel 5 erscheint aus heutiger Sicht sehr lückenhaft, wurden im
letzten Vierteljahrhundert doch zahlreiche weitere Forschungsarbeiten
auf dem Gebiet der Archäometrie geleistet. Um Nolls Arbeit zu
würdigen, die Neuausgabe des Werks aber nicht ausufern zu lassen, hat
sich Heimann dazu entschieden, Kapitel 5 in seiner ursprünglichen Form
zu belassen. Es beinhaltet daher Analysen von vorwiegend neolithischer
bis chalkolithischer Keramik aus Anatolien, Ägypten, Mesopotamien, im
Iran und den Induskulturen. Anhand der Fallbeispiele werden die
Themen der vorangegangen Kapitel, also die Mineralogie von Tonen, die
Verarbeitung und das Brennen von Ton sowie das Bemalen der Keramik,
zusammenfassend und regionalspezifisch beschrieben. Diese Aspekte
werden auch in geographische, historische und sozio-ökonomische
Kontexte gestellt, welchen sich die Hersteller der jeweiligen Keramik
gegenüber sahen. Somit entstehen innerhalb der einzelnen Fallbeispiele
recht holistische Bilder.
Ergänzt wird das Werk schließlich durch ein Sachregis- ter, ein
Ortsregister sowie einen Anhang, der eine Tabelle wichtiger
Keramikphasen und Phasendiagramme ausgewählter Keramiken enthält.
Auch wenn das vorliegende Buch sich vorwiegend mit prähistorischer
Keramik (bis in das 7. vorchristliche Jahrtausend) beschäftigt, sind
seine Inhalte auch auf Keramiken anderer Perioden anwendbar, da es
sich mit keramischen Herstellungsprozessen und Scherbeneigenschaften
bzw. deren Untersuchungsmethoden beschäftigt. In Summe stellt die
vorliegende Publikation ein umfangreiches Kompendium zur Entwicklung
und Anwendung der Keramik-Archäometrie dar, deren Erkenntnisse nicht
nur auf die im Buch genannten geographisch und chronologisch
definierten Fallbeispiele zu beziehen sind, sondern auf sämtliche
(prä-)historische Keramiken. Da Keramik in der Regel die Masse
archäologischen Fundgutes ausmacht, wird die vorliegende Publikation
somit auch auf breites Interesse stoßen.
Dr. Gabriele Scharrer-Liška, Universität Wien, VIAS –
Interdisziplinäre Forschungsplattform für Archäologie
Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich BMÖ 33/2017, S. 199-200