Cover image of: Klaus Hausmann - Einzeller Mikroskopisch kleine Multitalente

Klaus Hausmann:

Einzeller

Mikroskopisch kleine Multitalente

[Unicellular organisms - microscopically small multitalents]

2024. X, 188 Seiten, 218 Abbildungen, mit Lesebändchen, 18x25cm, 740 g
Language: Deutsch

ISBN 978-3-510-65556-4, gebunden

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BibTeX file

Keywords

amöben • flagellaten • ciliaten • prokaryoten • eukaryoten • mikroskopie • mikrokosmos

Contents

Inhaltsbeschreibung top ↑

Dieses Werk
• charakterisiert die Lebensräume einzelliger ­Organismen
• illustriert Morphologie und Ultrastruktur von ­Einzellern
• präsentiert die vielfältigen Ausgestaltungen von Bewegungen
• verfolgt den Erwerb sowie den Aufschluss von Nahrung
• macht morphogenetische Vorgänge verständlich
• erklärt Vermehrungs- und Fortpflanzungsabläufe
• legt das aktuelle Wissen zur globalen Verbreitung von Einzellern dar
• beleuchtet die Bedeutung von Einzellern für die Fachdisziplin Bionik
• findet Spuren der Einzeller in Kunst und Kultur

Mit einer Vielzahl hervorragender licht- und elektronenmikroskopischer Fotos sowie anhand eingängiger Grafiken werden komplexe Sachverhalte leicht nachvollziehbar vermittelt.

Das vorliegende Kompendium wendet sich an alle Leser, die sich eine erste Übersicht über die verschiedenen Facetten der Biologie einzelliger Lebewesen verschaffen möchten.

Rezension in der Mikroskopie, Jhrg. 11,Nr. 4/2024, S. 224 - 229 top ↑

Oft kommt es nicht vor, dass auf Deutsch ein neues Buch über Einzeller erscheint. Doch jetzt hat der renommierte, fast 200 Jahre alte Schweizerbart Verlag aus Stuttgart, der so bekannte Werke wie „Das Phytoplankton des Süßwassers“ („Huber-Pestalozzi“) herausgebracht hat, den Mut gehabt, eines auf den Markt zu bringen. Mut, weil der potenzielle Leser- und Käuferkreis vermutlich nicht groß ist, zumal ein deutscher Titel die anglophone Welt nicht erreicht. Aber vielleicht wird das Buch ja später noch übersetzt.
Autor des Buches ist der bekannte Wissenschaftler Dr. Klaus Hausmann, emeritierter Professor für Zoologie/Protozoologie der Freien Universität Berlin. Hausmann veröffentlichte 1985 gemeinsam mit Maria Mulisch, Wissenschaftlerin an der Universität Köln, auf Deutsch das Buch „Protozoologie“ (Thieme-Verlag), das einige Jahre später auf Russisch und Japanisch übersetzt wurde. 1996 folgte eine zweite überarbeitete englische Auflage unter dem Titel „Protozoology“, gemeinsam mit seinem Kollegen Norbert Hülsmann von der Freien Universität. Mit der 3. Auflage 2003 wurde das Werk erweitert zu „Protistology“, da es nicht mehr nur die Protozoen, sondern auch die Protophyten behandelte. Als dritte Autorin kam Renate Radek, ebenfalls Freie Universität Berlin, hinzu. Der Verlag wechselte von Thieme zu Schweizerbart, wo das Buch noch erhältlich ist.
Nun also eine neue Veröffentlichung von Hausmann. Die Idee, ein populärwissenschaftliches Buch über Einzeller zu verfassen, kam ihm in Ägypten auf einer mehrwöchigen Nil-Fahrt in Gesprächen mit einem Mitreisenden und Tischnachbarn, bei denen er feststellte, wie wenig andere Menschen über die Wunderwelt dieser kleinen Wesen wissen. Es war eine gute Idee!
Hausmann hat verständlicherweise viele Abbildungen und Fakten aus seinem Werk „Protistology“ übernommen, aber dennoch ist sein neues Buch ein völlig anderes geworden, da es sich nicht an Studierende und Wissenschaftler wendet, sondern an alle, die etwas über diese Wunderwelt erfahren möchten. Deshalb gibt es Kapitel, die in dem Lehrbuch nicht vorkommen. „Einzeller“ ist in einer gut lesbaren Sprache geschrieben, da Hausmann das Talent hat – und immer auch die Prise Humor –, die oft komplizierten Sachverhalte verständlich darzulegen.
Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert, die im Schnitt nur knapp 15 Seiten umfassen. Es kam Hausmann also nicht auf eine umfassende Darstellung an, sondern auf einen prägnanten Überblick, weshalb das Buch auch nur den halben Umfang seiner „Protistology“ hat.
Vorab wird erläutert, dass das Buch nur von freilebenden Protisten (Einzellern) handelt, also nicht von Prokaryoten (Bakterien und Archaeen). Allerdings tauchen ein paar Mal die Cyanobakterien auf, die die Fotosynthese erfunden haben. Das Buch behandelt nicht eukaryotische Krankheitserreger, von denen ich persönlich die Amöbenruhr verursachende Entamoeba histolytica aus meiner Afrika-Zeit in bitterer Erinnerung habe. Hausmann erläutert, warum er nicht mehr die Begriffe Protozoen und Protophyten für die von ihm behandelten Einzeller verwendet, sondern Protisten. Er begründet es damit, dass eine Abgrenzung dieser beiden Gruppen kaum mehr gelingt und somit nicht sinnvoll ist. Viele Hobby-Mikroskopiker und Tümpler werden zustimmend nicken, wenn sie schon einmal auf farblose, sich heterotroph ernährende Euglenophyceen („Augentierchen“) gestoßen sind.
Nach einer Einführung in die Geschichte der Mikroskopie, bei der der begnadete „Dilettant“ Antoni van Leeuwenhoek und der „Visionär“ Christian Gottfried Ehrenberg (Bezeichnungen von Hausmann) natürlich nicht fehlen, und einem Überblick über die Mikroorganismen folgen Kapitel über Lebensräume, Morphologie, Bewegung, Nahrungserwerb, Verdauung und Ausscheidung, Vermehrung, Orientierung in der Umwelt und über die Verbreitung der Protisten. Abschließend wird auf die Einzeller als Baumeister und Vorlagen für Bioniker und Künstler eingegangen sowie die Erschließung von Einzellern für breitere Volksschichten. In diesem letzten Kapitel wird kurz auf Mikroskopische Vereinigungen, Internet-Foren und die Zeitschrift „Mikroskopie“ hingewiesen. Da hätte ich mir ein paar konkrete Links und Adressen gewünscht.
Ich möchte im Folgenden auf einige spannende Fakten aus den eben genannten Kapiteln eingehen, um eine Idee zu dem Buch zu vermitteln und zum Lesen anzuregen.
Was Lebensräume angeht, ist über das Benthos, also die am Boden lebenden Organismen, und das Plankton Vieles bekannt (Abb. 1). Aber das Aeroplankton, also die in der Luft schwebenden Keime, sind noch wenig erforscht. Genauso wenig weiß man zum Beispiel auch, warum Pansen-Ciliaten oft so wehrhaft geformt sind. Eine biologische Erklärung dafür gäbe es nicht, schreibt Hausmann. Ebenso wenig ist darüber bekannt, Hausmann hat dafür nur ein Achselzucken, warum auf der Oberfläche eines Flohkrebses, säuberlich getrennt, an verschiedenen Stellen verschiedene Ciliatenarten siedeln. Mich erinnert das an Kopf- und Filzläuse, die sich aus dem Wege gehen und die Haare der anderen Art meiden, selbst wenn nicht beide Arten gleichzeitig auf einem Körper leben. Für mich sind eigentlich Haare gleich Haare.
An dieser Stelle sei bereits gesagt, dass ich überrascht war, in quasi jedem Kapitel mindestens einmal den Satz zu finden, dass diese oder jene Tatsache nicht erforscht oder bekannt ist. Ich hätte das in der Häufung nicht erwartet, zumal es bisweilen ganz simple Tatbestände sind, die noch auf Erforschung warten. Einige Beispiele solch unerforschter Sachverhalte werden im weiteren Textverlauf gegeben.
Hausmann teilt die Protisten gemäß ihrer Baupläne in vier Gruppen ein: Amöben, Flagellaten, Ciliaten und Sporozoen. Letztere, da ausschließlich Parasiten, werden nicht behandelt. Bei dieser Einteilung stellt sich unmittelbar die Frage, ob unbegeißelte, einzellige Algen nicht zu den Protisten gerechnet werden. Auf eine Rückfrage beim Autor antwortete dieser: „Die ‚Mikroalgen‘ werden unter die Flagellaten subsumiert, da bei diesen Protisten vielfach im Lebenszyklus begeißelte Stadien auftreten, wie zum Beispiel bei Diatomeen.“ Das hätte im Buch erläutert werden sollen, denn es erschließt sich nicht automatisch, dass zum Beispiel Diatomeen zu den Flagellaten gerechnet werden.
Bei den Bauplänen wird ein kleiner Exkurs auf den von mir als Entomologen sehr geschätzten Johann Rösel von Rosenhof gemacht, der als erster Amoeba proteus beschrieb und in Band 3 der „Insekten-Belustigung“ von 1755 auf einer Tafel abbildete (Abb. 2). Mir waren bis dato nur die Insektenabbildungen bekannt. Ebenso neu war mir, dass die Panzer der Dinoflagellaten nicht auf dem Organismus liegen, wie man meint, wenn man sie im Mikroskop betrachtet, sondern unter der Plasmamembran. Es ist also eine intrazelluläre Panzerung (Abb. 3). Gleiches gilt für das Tonnentierchen Coleps hirtus.
Die Arten der Bewegung bei Amöben, einigen Eugleniden und bei vielen Organismen durch Geißeln, Cilien und Cirren oder Schleimabsonderung (Abb. 4) sind hochkomplex und – wie sollte es anders sein – auch noch nicht in allen Aspekten verstanden. Welchen biologischen Sinn die zufällig wirkenden Bewegungen bei Kieselalgen haben, fragt sich die Wissenschaftsgemeinde auch. Hausmann betont an dieser Stelle, dass bei Trompeten- und Glockentierchen vermieden werden sollte, von Stielmuskeln zu sprechen, da diese Struktur keine Ähnlichkeit mit der Funktionsweise von Muskeln hat. Er weist in diesem Kapitel und anderen darauf hin, dass alle solch komplexen Eigenschaften, Strukturen und Verhalten in einer einzigen Zelle verwirklicht sind.
Ebenso faszinierend wie die Fortbewegung ist der Nahrungserwerb. Auch dieser ist wiederum in vielen Aspekten unverstanden. Wenn zum Beispiel ein Pantoffeltier in die Nähe von Amoeba proteus kommt, bleibt es wie gelähmt liegen, die Amöbe kann es in Ruhe umfließen und sich mit dem Verzehr Zeit lassen (Abb. 5). Erst wenn es zu spät ist, setzen Fluchtbewegungen des Pantoffeltiers ein. Vermutlich wird von der Amöbe eine toxische Substanz abgegeben, allerdings nur, wenn es sich um eine potenzielle Beute handelt. Wie erkennt sie das? Lähmung erfolgt nicht nur, wie bei der Amöbe, durch abgegebene toxische Stoffe. Es werden von vielen Einzellern auch Pfeile ausgeschleudert, Trichocysten, manche davon mit kalzifizierten und vielleicht vergifteten Spitzen (Abb. 6). Sie gehören zur Gruppe der Extrusomen, die ganz unterschiedliche Funktionen haben. Sie können nach Gebrauch schnell wieder nachgebildet werden. Bilder von Trichocysten-ausschleudernden Organismen erinnern an mittelalterliche Schlachten mit Pfeil und Bogen. Aber wie wird bei den Einzellern die Kraft entwickelt, um diese Pfeile abzuschießen?
Dass so vieles noch nicht bekannt ist, liegt nach Hausmann an den sehr begrenzt zur Verfügung gestellten Forschungsmitteln, mit der Folge, dass es auch nicht mehr die entsprechenden Forscherinnen und Forscher gibt. Selbst viele Biologen, die in den entsprechenden Kommissionen zur Mittelvergabe sitzen, wüssten nichts von diesen spannenden Dingen und meinen vermutlich, dass das alles wenig Relevanz für den Menschen hat.
Nach dem Fressen kommt die Verdauung. Auch die ist komplizierter als gedacht, aber wenigstens bei Paramecium eingehend untersucht. Und was vorne rein geht, muss auch hinten wieder raus, zumindest das, was nicht verwertet werden kann. Dafür gibt es bei einer Reihe von Ciliaten an einer bestimmten Stelle sogar eine Art After mit einer Defäkationsvakuole.
Interessant sind auch die Arten des Nahrungserwerbs. Beuteorganismen werden umschlossen, herangestrudelt, verschlungen, ausgesaugt. Aber wie funktioniert Saugen, wenn die Zelle einen Innendruck hat?
Nach dem Essen, der Verdauung und Ausscheidung kommt nicht die Moral, sondern die Vermehrung. Gemeinhin meint man, alles passiert durch Zweiteilung. Das wäre auf Dauer genetisch nicht vorteilhaft. Deswegen haben schon die Einzeller die Sexualität erfunden, entweder durch Gameten und Gamonten oder den faszinierenden Vorgang der Konjugation von zwei Organismen, die sich mit ihren Mundbereichen aneinanderlegen und Micronuclei austauschen. In allen diesen Fällen gibt es eine Reduktionsteilung (Meiose), die Voraussetzung für echte Sexualität. Aber mit der Sexualität kam auch der Tod. Wenn die koloniale Volvoxkugel (es ist kein Mehrzeller!) ihre Tochterkugeln entlässt, stirbt sie. Volvox ist – pathetisch gesagt – die Alge, die den Tod erfand (Abb. 7).
Was Bewegungsvorgänge betrifft, geht Hausmann auf Fototaxis, Chemotaxis, Mechanotaxis, Gravitaxis (Schwerkraft), Thermoresponse und Galvanotaxis ein, schreibt aber auch: „Man kann allerdings nicht jedes Verhalten vom Einzeller als Antwort auf einen äußeren Reiz interpretieren. Ciliaten sind in gewissen Grenzen durchaus zu spontanen Verhaltensäußerungen befähigt.“
Das haben bestimmt schon viele Hobby-Mikroskopiker gedacht, wenn sie Einzeller im Mikroskop beobachteten.
Was die Verbreitung der Protisten angeht, sind sie zwar einerseits Kosmopoliten, andererseits ist es falsch anzunehmen, dass es alle Ar- ten überall gibt. Und unter den Protisten kommen auch endemische Arten vor. Bromelien haben zum Beispiel mit Wasser gefüllte Blattachseln, in denen Arten zu finden sind, die es nur hier gibt.
Was Einzeller als Baumeister angeht, hat der berühmte Biologe und Künstler Ernst Haeckel sie in seinen „Kunstformen der Natur“ verewigt. Aber auch Bioniker, wie der kürzlich verstorbene Prof. Nachtigall, der in dieser Zeitschrift viele spannende Artikel veröffentlicht hat, und Künstler haben immer wieder ein Auge auf diese Wunderwerke geworfen. Bioniker versuchen, sich von den technischen Lösungen der Einzeller etwas abzuschauen und in die Menschenwelt zu übertragen, und sei es auch nur eine Autofelge nach einer Diatomee (Abb. 8). Und das monumentale Eingangstor zur Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 wurde einer Radiolarie nachempfunden (Abb. 9). Künstler fertigen bis heute Schmuckstücke nach Einzellern und Schriftstellerinnen schreiben Kinderbücher mit Einzellern als Protagonisten (Abb. 10).
Zum Schluss noch einige Details zum Buch. Es ist auf sehr gutem Papier gedruckt und durchgehend schwarz-weiß und farbig in hervorragender Qualität bebildert. Es ist in einen festen Einband gebunden und hat sogar ein hellblaues Lesebändchen. Was mir noch auffiel, ist der nahezu fehlerfreie Text. Da ich selbst schreibe, weiß ich aus leidvoller Erfahrung, dass, auch wenn man einen Text immer wieder liest und andere auch, sogar eine Lektorin oder ein Lektor, sich doch Fehler einschleichen. Ich habe im ganzen Buch nur zwei Fehler entdeckt. Selbst wenn es ein paar mehr sein sollten, ist das eine hervorragende Quote. Das Buch verfügt über ein gut gemachtes Glossar und einen Index. Die Bildquellen sind in einem Anhang angegeben. Man findet neben Hausmann, der sehr viele Abbildungen und Bilder von Mikroorganismen beigesteuert hat, auch eine Reihe Namen von Hobby-Mikroskopikern, die mit ihren Bildern in den entsprechenden Foren oder durch ihre Webseiten bekannt sind. Etwas schmal mit einer Seite ist das Literaturverzeichnis ausgefallen. Hier hätte ich mir ein paar mehr Hinweise auf Bücher gewünscht, die sich mit der Technik der Mikroskopie und der Bestimmung von Mikroorganismen beschäftigen, wie zum Beispiel die beiden Bücher von 2020 und 2022 „Faszination Mikroskopie“ von W. Nachtigall, J. Piper und F. Fox aus dem Hachinger-Verlag oder das, wenn auch teure, so doch umfassende und aktuelle Buch „The Freshwater Algal Flora of the British Isles“ von David M. John und Kollegen, das nicht nur für die Britischen Inseln relevant ist.
Mein Fazit zu dem Buch von Hausmann: Kaufen, lesen, weiterempfehlen!

Dr. Stephan Krall

stephan.krall@t-online.de

Rezension im Mitteilungsblatt-November 2024 der Mikroskopischen Gesell. Wien top ↑

Durch einen Hinweis in mikroskopie-forum.de aufmerksam geworden ,habe ich mir umgehend das genannte Buch bestellt, das innerhalb weniger Tage bei mir eintraf. Im Gegensatz zu der reichhaltig vorhandenen Bestimmungsliteratur zu Einzellern vom Werk Kahls bis zum Leben im Wassertropfen befasst sich Hausmann in diesem Werk wesentlich umfangreicher mit allen Aspekten des Lebens von Einzellern, als er dies bereits in seinem Artikel "Einzeller - Erkennen und Zuordnen" in Mikroskopie, Jahrgang 3, Nr. 1/2016, S. 2 - 14 getan hat. Das Spektrum umfasst von der Beschreibung der Lebensräume über die Morphologie, die Bewegung, den Nahrungserwerb, die Verdauung und Ausscheidung, die Fortpflanzung und das Verhalten der Einzeller gegenüber der Umwelt alle Bereiche des einzelligen Lebens. Vertieft man sich in dieses Buch, so wird einem von Seite zu Seite klarer, wie zutreffend der Untertitel "Mikroskopisch kleine Multitalente" ist. Es grenzt fast ans Unvorstellbare, was die Natur imstande ist an Funktionen in einer einzelnen Zelle zu verpacken. Man denke nur an das kontrollierte Zusammenwirken der vielen einzelnen Cilien eines Ciliaten, sei es zur Fortbewegung oder zur Nahrungsaufnahme, und das alles ohne Nervensystem, geschweige denn einem Gehirn.

Auf 188 Seiten reich illustriert mit Bildern und Grafiken sowohl in Farbe als auch Schwarz-Weiß erhält der interessierte Mikroskopiker (Tümpler) einen gut verständlichen und didaktisch gut aufbereiteten vertiefenden Einblick in das einzellige Leben.

Gleichsam als Draufgabe findet sich am Ende des Buches ein eigenes Kapitel, das Einzeller als Vorbilder für Bioniker und Künstler zeigt. Eines von vielen Beispielen präsentiert die Ähnlichkeit von zentrischen Diatomeen mit dem Design von Leichtmetallfelgen, mit der Folge, da solcherart gestaltete Felgen leichter und stabiler sind als eine konventionelle Felgenform.

Abschließend sei nur noch erwähnt, dass das Buch auch qualitativ hochwertig hergestellt ist. Papierqualität, Layout, Bindung und Einband lassen keine Wünsche offen. Somit sehr viel Buch, das man um den moderaten Preis von knapp Euro 30,- bekommt. Ich kann jedem Interessierten den Erwerb des Buches nur wärmstens empfehlen.

Dr. Thomas Schröfl

Rezension in Naturwissenschaftliche Rundschau 78, 1/2025 top ↑

Der Autor Klaus Hausmann war von 1985 – 2012 Universitätsprofessor (Abteilung für Protozoologie am Institut für Biologie/Zoologie) an der Freien Universität Berlin. Ambitionierte Mikroskopiker kennen u.a. seine und Norbert Hülsmanns Protozoology (2nd edition, Thieme 1996) sowie den mit Renate Radek herausgegebenen Symposiumsbericht Cilia and Flagella – Ciliates and Flagellates (Schweizerbart 2014).

Und nun die Einzeller als Mikroskopisch kleine Multitalente – wozu dieser erneute „Vorstoß in den Mikrokosmos“ (S. 1)?

Das Erscheinungsjahr 2024 läßt es vermuten: Hier fügt der nunmehr 77jährige Protozoologe seiner (berufs-)lebenslangen Forschung und Lehre nach 12 Jahren im (Un-)ruhestand den Schlußstein ein. Über seinem neuen Buch steht – so empfindet es der Rezensent – das klassische prodesse et delectare als ideales Ziel der Wissensvermittlung - „nützen und erfreuen“.

Das Werk ist allen Lesern gewidmet, „die sich eine erste Übersicht über die verschiedenen Facetten der Biologie einzelliger Lebewesen verschaffen möchten“ (Umschlagtext).

Wohlweißlich beschränkt Hausmann sich „in erster Linie auf die freilebenden Protisten“ und läßt die sehr komplexen Lebenszyklen der einzelligen Krankheitserreger beiseite. Auch dann bleibt für den avisierten Interessentenkreis von Nichtspezialisten genügend Stoff zum Staunen – etwa über das im Vorwort exemplarisch hervorgehobene Pantoffeltierchen Paramecium mit der präzisen Steuerung seiner ca. 20 000 Wimpern.

Das Buch ist im Gegensatz zu den oben erwähnten Werken nicht auf Englisch, sondern auf Deutsch verfaßt. Durch die dann immer noch anspruchsvolle Darstellung führt der Autor den Leser mit wohltuendem Bemühen um Verständlichkeit; so etwa: Diese Abbildung „ist so zu verstehen, als befände man sich in einem Pantoffeltier und versuche nach draußen zu schauen“ (32f.). Als hilfreich empfindet der Leser auch die sprachlichen Erläuterungen zur bisweilen steinigen Fachterminologie griechisch-lateinischer Herkunft.

Prodesse(nützen = Sachbuch) und delectare(erfreuen = Bildband) sind im Layout eine glückliche Verschmelzung eingegangen. Schon der Protozoology und den Cilia and Flagella mangelt es nicht an vorzüglichen Illustrationen. Etliche sind in die Einzeller übernommen worden. Allerdings ist hier die Zahl der Abbildungen noch wesentlich erhöht: Keine Doppelseite ohne Bild (zumeist: Bilder), und dankenswert oft hat der Leser `am farbigen Abglanz´ das Leben der mikroskopisch kleinen Multitalente teil. Illustre Höhepunkte sind die großflächigen Bildpräsentationen (alt)meisterlicher Provenienz – etwa Christian Gottfried Ehrenberg (Tafel 23, S. 6) sowie Ernst Haeckel (Tafel 3, S. 52) und Richard Hesse / Franz Doflein (Abb. 218, S. 174).

Es wäre müßig, die exzellente Qualität der lichtmikroskopischen Aufnahmen eigens hervorzuheben. Bemerkenswert aber: Der Autor hat eindrucksvolle Bilder auch im Amateurkreis rekrutiert – so z.B. in der Berliner Mikroskopischen Gesellschaft, die er 1986 ins Leben gerufen hat. Wenn der Leser etwa den plastisch-brillant dokumentierten „Bakterienbefall der Kerne von Paramecium bzw. Trithigmostomum“ bestaunt (S. 17), stammen die Fotos von einem mikroskopierenden Amateur auf dem Trecker, der eine kleinbäuerliche Landwirtschaft mit Hofladen bei Düsseldorf betreibt. Der Anzahl nach nehmen dessen Mikrofotos nach dem Autor und seiner Gattin Erika Hausmann (ebenfalls Protozoologin) den dritten Rang unter den Bildquellen ein. Oder: Eine packende Bildfolge (Filmausschnitte) hält fest, wie Paramecium bursaria von Amoeba proteus erbeutet wird (S. 57); als Bildautor zeichnet ein Berliner Ingenieur (Fachgebiet Nachrichtentechnik).

Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert, die jeweils mit einer Inhaltsübersicht eingeleitet werden. Dank überschaubaren Umfangs und reicher Bebilderung wird der Leser nicht überfordert, wenn er kapitelweise in die Welt der kleinen Multitalente eingeführt wird (Stichwörter: Lebensräume, Morphologie, Bewegung, Nahrungserwerb, Vermehrung, Orientierung, Verbreitung.)

Im letzten Viertel des Buches präsentieren die Einzeller ihre Talente als „Baumeister“, „Vorbild“ und als Ansprechpartner „für jedermann“. Beim Durchblättern dieser Seiten (ab S. 125) gleitet das Sachbuch (prodesse) zum prachtvollen Bildband (delectare) über und gibt die Bühne frei für das Showtalent dieser mikroskopischen Organismen – auch mit Musik: Amoeba Hop (S. 166). Der Leser staunt, wie vom Autor im Vorwort erhofft, über diese Begabung der multitalentierten Einzeller.

Das Buch empfiehlt sich dem Leser zum einen als engagierte Initiation in die Welt der Einzeller und zum anderen als farbige Bilderrevue des Mikrokosmos, wie sie wohl nur ein hochbetagter Pensionär (Vorwort) nach langjähriger Fahrt durch der Welten Kleines(Mottoziat: Christian Gottfried Ehrenberg) präsentieren und über seine Fachkenntnisse hinaus (prodesse) zum Erstaunen und Ergötzen der Leserschaft vor Augen zu führen vermag (delectare).

Dr. Erich Lüthje, Kiel

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Vorwort ........................................ IX
Vorstoß in den Mikrokosmos
Prokaryoten - Eukaryoten ....................... 1
Antoni van Leeuwenhoek, ein begnadeter Dilettant 3
Christian Gottfried Ehrenberg, ein Visionär .... 5
Dimensionen .................................... 7
Untersuchungsmethoden .......................... 8
Lebensräume
Neuston - Benthos - Plankton .................. 12
Edaphon - Solekanäle - Aeroplankton ........... 13
Einzellerleben in Einzellern .................. 15
Einzellerleben in Vielzellern ................. 18
Mitreisende ................................... 22
Morphologie und Ultrastruktur
Amöben ........................................ 25
Flagellaten ................................... 29
Ciliaten ...................................... 31
Bewegung
Amöboide Bewegung ............................. 38
Flagellen- und Cilienbewegung ................. 40
Plasmaströmungen .............................. 45
Metabolie - Gleiten ........................... 45
Kontraktionen - Körperverformungen ............ 50
Nahrungserwerb
Nahrungserwerb durch Pseudopodien ............. 56
Nahrungserwerb durch Cilien und Flagellen ..... 63
Nahrungserwerb über Mundapparate .............. 65
Beuteerwerb durch Extrusome ................... 72
Unkontrollierter Nahrungserwerb ............... 79
Verdauen und Ausscheiden
Nahrungsaufschluss ............................ 81
Ausscheidung .................................. 86
Vermehrung - Fortpflanzung - Lebenszyklen
Asexuelle Vermehrung .......................... 88
Sexuelle Fortpflanzung ........................ 92
Lebenszyklen .................................. 94
Zurechtfinden in der Umwelt
Osmoregulation ............................... 103
Taxien ....................................... 107
Verbreitung
Alles-ist-überall versus Endemismus .......... 116
Algenblüten .................................. 116
Einzeller als Baumeister
Schuppen ..................................... 125
Gehäuse ...................................... 131
Skelette ..................................... 142
Einzeller als Vorbild
für Bioniker ................................. 149
für Künstler ................................. 150
Einzeller für Jedermann
Erschließung des Mikrokosmos für
breitere Volksschichten ...................... 168
Mikroskopikervereinigungen ................... 171
Schlussbetrachtung ........................... 173
Glossar ...................................... 176
Literaturverzeichnis ......................... 181
Danksagungen ................................. 182
Bildquellen .................................. 183
Index ........................................ 184