KLIMA
Die Launen der Sonne
Geht die Erderwärmung wirklich allein aufs Konto des Menschen? Oder
heizt derzeit nur die Sonne stärker ein? In den Computermodellen wurde
bisher vernachlässigt, wie stark die Strahlungsausbrüche des Sterns
schwanken. Nun streiten die Forscher, ob ihnen die Katastrophe
abhanden kommt.
In ihrer Not opferten sie Menschen. Mit spitzen Steinwerkzeugen
schlitzten sie Kriegsgefangene bei lebendigem Leibe auf. Das frische
Blut boten die Maya-Priester ihrem Sonnengott Kinich Ahau an.
Trotz der Blutopfer folgte ein trockenes Jahr auf das andere - so
lange, bis die Hochkultur versank. Denn nicht der Gott hatte die
Erbauer der Stufenpyramiden im Stich gelassen, sondern die Sonne
selbst.
Was die Maya nicht ahnen konnten, hat jetzt der US-Paläoklimatologe
David Hodell herausgefunden: In regelmäßigen Abständen von rund 200
Jahren wurden die Maya von extremer Trockenheit heimgesucht. Die
schwerste und längste Dürre ereilte das Volk zwischen 750 und 850 nach
Christus. Auslöser der mysteriösen Heimsuchungen soll eine zyklische
Veränderung in der Aktivität der Sonne gewesen sein.
Auf diese Theorie kam der Geologe von der University of Florida durch
die Auswertung von Sedimentbohrkernen, die er aus dem See Chichancanab
auf der Halbinsel Yucaton gezogen hat. Schicht für Schicht sind in den
schlammigen Ablagerungen die klimatischen Bedingungen der
Vergangenheit archiviert. Parallel dazu lässt sich auch die Menge der
Energie rekonstruieren, die damals von der Sonne auf die Erde
strahlte. Trockenheit und Sonnenaktivität laufen derart synchron, dass
Hodell "kaum glauben kann, dass es sich hier nur um einen Zufall
handelt".
Das Interesse des Forschers gilt weniger dem Schicksal der Maya als
dem der heutigen Menschheit. Die Sonne ist alles andere als eine
konstante Strahlenquelle. Astronomen wissen schon länger, dass das
Zentralgestirn in geheimnisvollen Zyklen mal mehr und mal weniger
Strahlung auf die Erde niederprasseln lässt. Nun interessieren sich
auch die Klimaforscher dafür.
Einige geben der veränderlichen Sonne mittlerweile die Schuld an der
globalen Temperaturerhöhung. --- S.197
Der Mutterstern der Erde avanciere derzeit "zum heißesten Thema der
Klimatologen", bestätigt Ulrich Cubasch vom Deutschen
Klimarechenzentrum (DKRZ) in Hamburg. Ist nicht der Mensch mit seinem
Kohlendioxid-(CO2-)Ausstoß verantwortlich für den Treibhauseffekt,
sondern heizt uns nur die Sonnekräftiger ein als sonst? In Deutschland
vertritt diese provokante These vor allem Ulrich Berner von der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover:
"Wir müssen uns vom alten CO2-Paradigma verabschieden", fordert der
Klimatologe im SPIEGEL-Interview (siehe Seite 198).
Die Aussagen Berners sind politisch brisant. Die BGR ist eine
Bundesbehörde, die dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist. Zwar
ist dessen Chef, der parteilose Werner Müller, bekannt für
eigenwillige energiepolitische Auffassungen. Doch dessen Vorgesetzter,
Bundeskanzler Gerhard Schröder, zählt in Klimafragen - wie das gesamte
rot-grüne Kabinett - zu den Anhängern der Kohlendioxid-Doktrin.
Dafür war der Kanzler sogar bereit, in offene Konfrontation zum
US-Präsidenten George Bush zu gehen, der nichts vom Kyoto-Protokoll
zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beim Verbrennen fossiler
Energieträger hält. Schröder warnte ihn daher unverhohlen, die
Gefahren des Klimawandels zu "bagatellisieren".
Seitdem häufen sich die Appelle an Bush. Noch vergangene Woche
schlossen die Teilnehmer des "3. Asien-Europa-Treffens" in Peking,
darunter Außenminister Joschka Fischer, ihre Konsultationen mit der
Forderung, "die gesamte internationale Gemeinschaft" müsse die globale
Erwärmung bekämpfen.
Die Glaubwürdigkeit der Politiker steht und fällt mit der Gültigkeit
des CO2-Modells. In einer Erklärung forderten 17 nationale
Wissenschaftsakademien vorvergangene Woche in der Zeitschrift
"Science" zu "promptem Handeln" auf, um "den Ausstoß von
Treibhausgasen zu reduzieren".
Doch die demonstrative Einigkeit der Wissenschaftler täuscht. "Der
Alleinerklärungsanspruch des Kohlendioxids für die Klimaerwärmung hat
auch der Heidelberger Physiker Ulrich Neff erkannt. Er selbst ist
daran nicht ganz unschuldig: Parallel zum Pamphlet der nationalen
Wissenschaftsgesellschaften publizierte der Forscher vom Institut für
Umweltphysik in "Nature" eine Studie, die der Sonne eine weit größere
Bedeutung für das Klimageschehen einräumt.
Gemeinsam mit Schweizer Forschern fand Neff in den
Calciumcarbonat-Schichten von Stalagmiten deutliche Hinweise darauf,
dass sich der Südwestmonsun Asiens im Gleichtakt mit dem Sonnenzyklus
verändert. Die historischen Beweisstücke waren in einer Höhle in Oman
verborgen.
Unbestritten nehmen die Durchschnittstemperaturen auf der Erde
zu. Doch uneinig sind sich die Forscher, welchen Anteil an der
Entwicklung der Mensch hat und welchen die Sonne. Die Verfechter der
Sonnentheorie beklagen Denkverbote durch die tonangebende
CO2-Fraktion. "Der Einfluss der Sonne ist ein Tabuthema", kritisiert
die Stratospären-Expertin Karin Labitzke vonder Freien Universität
Berlin. "Wenn wir davon reden, wird uns sogleich vorgeworfen, wir
seien auch gegen das Energiesparen."
Während die physikalischen Wirkungen des Kohlendioxids, die zum
Treibhauseffekt führen, in Experimenten einwandfrei simuliert werden
konnten, steht ein endgültiger Beweis für die Mechanismen bei der
Sonne noch aus. Labitzke hat eine von zwei heiß diskutierten Theorien
aufgestellt.
So liege der Schlüssel zum Verständnis der solaren Klimaschaukel in
der Stratosphäre der Erde. Ein wichtiger Bestandteil dieser Schicht
zwischen 12 und 50 Kilometern ist Ozon. Wenn sich auf der Sonne
heftige Eruptionen ereignen, schleudert der Stern gewaltige Mengen
kurzwelliger UV-Strahlung Richtung Erde. Dadurch bildet sich mehr
Ozon, die Stratosphäre wärmt sich auf. Das wiederum hat einen bislang
noch kaum verstandenen Einfluss auf die Windrichtungen und
Wolkenbildung in erdnäheren Luftschichten. Labitzkes Modell leidet
vor allem an akutem Datennotstand. "Wenn wir nur wüssten, wie launisch
die Sonne wirklich ist", stöhnt Paläoklimatologe Neff. Eruptionen
lassen sich als so genannte Sonnenflecken auch von der Erde aus
beobachten. Doch --- S.198 erst ab dem 19. Jahrhundert lieferten
Sternwarten systematische Aufzeichnungen. "Direkt lässt sich die von
der Sonne auf die Erde treffende Strahlung erst seit 20 Jahren mit
Hilfe von Satelliten messen", sagt Neff.
Was in der brodelnden Masse der Sonne vor sich geht, wenn plötzlich
eine riesige Eruption entsteht, das "kapieren die Astronomen einfach
noch nicht" (Neff). Sie können sich außerdem keinen Reim darauf
machen, warum Phasen erh?hter Aktivität in so erstaunlicher
Regelmäßigkeit wiederkehren.
Alle elf Jahre beobachten die Astrophysiker einen außergewöhnlichen
Erregungszustand der Sonne. 200 Jahre lang kehrt dieser Zustand von
Zyklus zu Zyklus schneller wieder, die Leuchtleistung der Sonne
steigt. Dann nimmt die Intensität rund 200 Jahre lang wieder ab. Die
Temperaturen auf der Erde machen diese Achterbahnfahrt mit. In den
letzten 120 Jahren spiegelt die Kurve der Sonnenaktivität weit besser
den Temperaturanstieg wider als die des zunehmenden CO2-Gehalts in der
Atmosphäre (siehe Grafik 197)
Mittlerweile herrscht unter den Forschern weitgehend Einigkeit, dass
sich die Erde auf der Achterbahnfahrt gerade bergauf bewegt. Die
Anh?nger der Kohlendioxid-Theorie glauben jedoch, dass die Sonne daran
nur einen geringen Anteil hat.
So haben Klimamodellierer in Hamburg und Potsdam ihre Computer mit den
spärlichen Daten zur Sonnenaktivität gefüttert und die
Temperaturentwicklung der letzten zwei Jahrhunderte nachrechnen
lassen. Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung kam Andrey
Ganopolski zu dem Ergebnis, dass bei der globalen Erwärmung von 0,6
Grad in den letzten 100 Jahren lediglich ein Drittel (also 0,2 Grad)
auf das Konto der Sonne gehen: "Ohne den Menschen ist der
Temperaturanstieg nicht zu erklären."
Ähnliche Zahlen spuckten auch die Rechner des DKRZ aus. "Dennoch
müssen wir unsere Modelle noch viel stärker mit Messungen zur
Sonnenaktivität verfeinern", gibt DKRZ-Forscher Cubasch zu.
An diesen Daten drohen die Großrechner allerdings zu
ersticken. Momentan beziehen die Computer 19 Atmosphärenschichten ein
- das reicht bis in 12 Kilometer Höhe. "Für den Sonneneinfluss müssten
wir die Wechselwirkungen bis in 120 Kilometer Höhe einfließen lassen",
sagt Cubasch, "das entspricht 90 Schichten."
Er rauft sich die Haare. Milliarden von Rechenoperationen kostet den
Computer jede einzelne Schicht. Mit jeder weiteren potenzieren sich
die Schritte, die der Computer leisten muss. Cubasch: "Der Fluch des
Klimas ist dessen Komplexität."
GERALD TRAUFETTER
Interview
"Blühende Landschaften"
Geologe Ulrich Berner über verfrühte Warnungen vor einer
Klimakatastrophe, die überschätzten Wirkungen von Kohlendioxid und die
Uneinigkeit der Klimaforscher
SPIEGEL: Herr Berner, in Ihrem kürzlich erschienenen Buch
"Klimafakten" behaupten Sie, das Treibhausgas Kohlendioxid habe keine
Hauptschuld an der Temperaturerhöhung. Halten Sie die Warnungen vor
der Klimakatastrophe etwa für Panikmache?
Berner: In der Tat. Natürlich fügt der Mensch der Atmosphäre CO2
hinzu. Aber wie groß die Auswirkungen auf das Klima sind, das vermag
im Augenblick noch niemand zu sagen. Ich bezweifle, dass der
Temperaturanstieg der letzten 150 Jahre vollständig auf CO2
zurückzuführen ist. Neuere Computersimulationen zeigen, dass wir den
Temperaturverlauf nur nachvollziehen können, wenn wir den Einfluss der
Sonne mit einberechnen, deren abgestrahlte Energiemenge ständig
schwankt.
SPIEGEL: Was sagt denn Ihr oberster Dienstherr,
Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, zu Ihren Erkenntnissen?
Berner: Das Ministerium hat sich sehr positiv zu unserem Buch
geäußert. Wir sind eine nachgeordnete Behörde des
Wirtschaftsministeriums, weshalb unsere neuen Erkenntnisse dort auch
schnell landen.
SPIEGEL: Wie genau muss man sich den Einfluss der Sonne auf unser Klima
vorstellen?
Berner: Die Sonne wirkt wie ein riesiger Motor, der unser Klimasystem
antreibt. Sie brennt allerdings nicht konstant wie eine Glühbirne. In
ganz bestimmten Zyklen bilden sich auf ihrer Oberfläche mal mehr und
mal weniger Sonnenflecken. Wir haben bislang unterschätzt, wie stark
diese Sonnenflecken das Wettergeschehen auf der Erde steuern. Denn
erstaunlicherweise ändert sich mit der Zahl der Sonnenflecken auch die
Wolkenbedeckung auf der Erde. Wie genau das funktioniert, wissen wir
leider noch nicht. Und wenn wir mehr Wolken haben, reflektiert auch
mehr Energie zurück in den Weltraum. Sind weniger Wolken da, gelangt
mehr Energie in unser irdisches Klimasystem.
SPIEGEL: An welchem Punkt des Sonnenfleckenzyklus befinden wir uns
gerade?
Berner: Im Rahmen der letzten 150 Jahre erleben wir von Zyklus zu
Zyklus einen -- S. 200 -- Anstieg der Sonnenfleckenintensität, der
ziemlich genau den Temperaturverlauf der letzten Zeit nachzeichnet.
SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, nicht der Mensch mit seinem
massenhaften Ausstoß von Kohlendioxid ist schuld daran, dass sich die
Erdatmosphäre aufheizt, sondern die Sonne?
Berner: Jedenfalls sind die Klimamodelle, mit denen heute die
Temperaturentwicklung vorhergesagt wird, falsch, weil sie diesen
wichtigen, wenn nicht gar entscheidenden Faktor einfach ausklammern.
SPIEGEL: Eine Arbeitsgruppe von über 600 Klimaforschern des so
genannten Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat
Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan als die eigentlichen
Verursacher des Temperaturanstiegs identifiziert. Unterstellen Sie,
dass sich alle diese Wissenschaftler irren?
Berner: Die Aussagen des IPCC sind überhaupt nicht
eindeutig. Innerhalb der Fachgemeinde gehen die Auffassungen weit
auseinander. Lediglich die so genannte Summary for Policymakers, die
Zusammenfassung für die politischen Entscheidungsträger, suggeriert
eine Einigkeit, die in Wahrheit nicht existiert.
SPIEGEL: Aber eine Kernaussage der Klimaforscher ist eindeutig: Die
CO2-Konzentration in der Atmosphäre war in den vergangenen 420 000
Jahren noch nie so hoch wie heute. Wagt die Menschheit nicht doch ein
globales Glücksspiel mit möglicherweise katastrophalem Ausgang?
Berner: In der Erdgeschichte gibt es viele Beispiele dafür, dass
Kohlendioxidkonzentration und Temperatur kein Zwillingsleben
führten. Es kam immer wieder vor, dass der CO2-Gehalt zunahm und die
Temperatur zurückging. Das belegen die für Paäoklimatologen
wichtigsten Archive: die Eiskerne aus Bohrungen in der Arktis und
Antarktis.
SPIEGEL: Aber für den momentanen rasanten Anstieg der
CO2-Konzentration gibt es in der jüngeren Erdgeschichte kein
Vorbild. Woher nehmen Sie ihre Gelassenheit?
Berner: Aus der jüngsten Klimageschichte. Schauen wir uns die letzten 150
Jahre an. Der CO2-Anstieg in der Atmosphäre stimmt nicht mit der
Temperaturkurve überein. Bis 1940 hat es einen Temperaturanstieg
gegeben, der vom Anstieg des Kohlendioxid überhaupt nicht mitgemacht
wurde. Dann wiederum sind Anfang der fünfziger Jahre die Temperaturen
gefallen, während das Kohlendioxid in der Atmosphäre zugenommen
hat. Viele Klimaforscher nehmen mittlerweile Rückzugspositionen ein
und betrachten nur noch die letzten 30 Jahre, in denen man tats?chlich
einen gleichzeitigen Anstieg von Kohlendioxid und Temperatur sieht.
SPIEGEL: Beunruhigend ist doch die Prognose des IPCC, dass es sogar in
Zukunft noch schneller wärmer wird als befürchtet. Die Schätzungen für
die nächsten 100 Jahre variieren zwischen 1,4 bis 5,8 Grad.
Berner: Es wird sicherlich schon deshalb eine Temperaturerhöhung
geben, weil wir uns noch im Anstieg eines langfristigen
Sonnenfleckenzyklus befinden. Nur, wie stark dieser Temperaturanstieg
am Ende ausfallen wird, das wissen wir noch nicht. Sicher wird es
nicht um 5,8 Grad wärmer, eine solche Vorhersage ist ganz sicher
überzogen.
SPIEGEL: Die Klimaforscher entdecken bereits heute immer mehr
Auswirkungen einer Klimaveränderung: Viele Gletscher ziehen sich
zurück, die Erwärmung des Ozeanwassers schreitet voran, und die
arktische Meereisdicke ist um 40 Prozent geschrumpft. Wie erklären Sie
all diese Beobachtungen?
Berner: Die Beobachtungen sind sicherlich richtig. Allerdings ist das
Klima nie stabil. Auch ohne Einfluss des Menschen pendelt es zwischen
k?hleren und wärmeren Zuständen. Und im Augenblick bewegen wir uns in
eine wärmere Phase hinein. Wir kommen aus der letzten kleinen Eiszeit,
die ungefähr ab dem Mittelalter ausbrach --- S.201 und ihre stärkste
Phase im 17. und im 19. Jahrhundert hatte.
SPIEGEL: Erst vorvergangene Woche haben 17 nationale
Wissenschaftsorganisationen im Magazin "Science" bei den Politikern
Maßnahmen zum Klimaschutz eingefordert. Panikmache?
Berner: Auch Wissenschaftler argumentieren in erschreckender Weise
monokausal. Dass die Menschheit seit 20 Jahren nur vor dem
Treibhausgas CO2 gewarnt wird, ist eine einseitige
Informationspolitik, die ein Umdenken hin zu einem vielschichtigen
Klimaverständnis verhindert hat.
SPIEGEL: Sie hat aber auch das Bewusstsein auf die Gefahren durch den
Klimawandel gelenkt. Welche Auswirkungen würde eine Aufheizung der
Atmosphäre für die Menschheit haben?
Berner: Die bevorstehende Temperaturerhöhung wird nichts übersteigen,
was die Menschheit nicht schon in früheren Zeiten erlebt hat. Und in
der Vergangenheit haben Klimaveränderungen die Menschen immer wieder
dazu veranlasst, aktiv zu werden und sich anzupassen. Negatives
Beispiel sind sicher die Völkerwanderungen. Aber es hat auch sehr
positive Auswirkungen gegeben, beispielsweise während des
mittelalterlichen Klimahochs: Damals lebten wir hier in Europa in
blühenden Landschaften. Der Weinbau in England florierte. Er war sogar
ein großer Konkurrent für den Weinbau auf dem französischen Festland.
SPIEGEL: Mehr als eine Milliarde Menschen lebt in Regionen, wo selbst
geringfügige Klimaveränderungen katastrophale Folgen haben könnten.
Verhalten Sie sich nicht zynisch angesichts der Bedrohungen, denen ein
Bauer in Bangladesch ausgesetzt ist?
Berner: Für solche gefährdeten Regionen müssen natürlich Vorkehrungen
getroffen werden. In gewissem Rahmen müssten auch Umsiedlungen
vorgenommen werden, wenn wirklich katastrophale Änderungen eintreten
sollten. Solche erwarte ich aber nicht, denn ein moderater
Temperaturanstieg lässt den Meeresspiegel um weniger als einen Meter
ansteigen - wenn überhaupt.
SPIEGEL: US-Präsident George Bush lehnt das Kyoto-Protokoll zur
Verringerung der CO2-Emissionen ab, weil ihm die wissenschaftlichen
Argumente dafür nicht reichen. Hat er demnach Recht?
Berner: Wenn ihm seine Berater ehrlicherweise sagen, dass sie für die
Zukunft keine verlässlichen Klimaprognosen abgeben können, hat er in
der Tat allen Grund für seine Zurückhaltung. Dennoch sollte er
Energiesparmaßnahmen forcieren.
SPIEGEL: Halten Sie demnach das Protokoll von Kyoto, in dem sich die
Industriestaaten auf eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes geeinigt
haben, für überflüssig?
Berner: Nein. Kyoto bewegt schon einiges. Weniger für den Klimaschutz,
mehr für Energiesparmaßnahmen.
SPIEGEL: Warum sollten wir nicht weiter 3,5 Milliarden Tonnen Öl
jährlich verbrauchen, wenn das für das Klima keine negativen Folgen
hat?
Berner: Weil die leicht zu erreichenden fossilen Energiereserven schon
Mitte dieses Jahrhunderts knapp werden. Die Zeiten, als wir große
Ölvorkommen gefunden haben, sind definitiv vorbei. Was wir jetzt noch
an Erdgas und Erdöl entdecken, ist Beiwerk. Man könnte anfangen,
Schweröle, wie wir sie beispielsweise im Orinoco-Becken vorfinden, zu
fördern. Oder aber Lagerstätten in größeren Wassertiefen vor den
Küstenzonen anzapfen. Doch der finanzielle und technische Aufwand wäre
sehr groß.
SPIEGEL: Und andere fossile Energieträger wie Methan, das gefroren in
großen Mengen unterhalb der Meeresböden lagert?
Berner: Für Meeres-Methan gibt es momentan noch keine sichere
Fördermethode. Wir müssen einfach realistisch bleiben und
regenerative Energiequellen wie zum Beispiel Geothermie
erschließen. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig. ---
S.198
Der Geologe
Berner, 48, leitet die Klimaabteilung an der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, einer dem
Wirtschaftsministerium unterstellten Bundesbehörde. Neben der Suche nach
Rohstoffen und neuen Energieträgern sowie der Erdbebenüberwachung
rekonstruiert das Institut auch die Klimageschichte. Dazu ziehen die
Wissenschaftler von Forschungsschiffen wie der "Sonne" Sedimentbohrkerne.
Aus diesen Fundstücken rekonstruieren sie dann historische Klimadaten der
Erde.
Artikel im Spiegel 23/2001: "Klima. Die
Launen der Sonne" m. anschl. Interview mit Ulrich Berner