Wer die eigene Vergangenheit nicht oder nur unzureichend kennt, hat
auch Probleme mit seinem Selbstverständnis und mit der zukünftigen
Entwicklung. Dieser Gedanke ist nicht neu. Er findet sich explizit
z. B. schon bei JOHANN WOLFGANG VON GOETHE. Es ist daher richtig und
notwendig, sich von Zeit zu Zeit auf seine Wurzeln zu besinnen sowie
die Vergangenheit aufzuarbeiten und darzustellen.
Besonders geeignet sind dazu Jubiläen. Im Jahre 1998 gab es ein
solches: Seit dem 1. Januar 1873 war die Königlich Preußische
Geologische Landesanstalt zu Berlin (vereinigt mit der älteren
Bergakademie) tätig. Dieses Jubiläum feierte man mit einer
Festveranstaltung ihrer Nachfolgerin, der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe, am 1. Dezember 1998 in Hannover.
Das vorliegende Heft ist nach dem dreiseitigen Vorwort von
K.-D. MEINHOLD zweigeteilt. Der lange Titel des 1. Teils lautet:
Geschichte und Aufgaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und
Rohstoffe und ihrer Vorgänger, der Königlich Preußischen Geologischen
Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin und des Reichsamtes für
Bodenforschung. Eine Chronik. Teil 1. Von den Anfängen der Preußischen
Bergbehörde bis zur Gründung der Vereinigten Königlich Preußischen
Geologischen Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin 1768-1873.
Erst auf S. 9 erfährt der Leser, daß K.-D. MEINHOLD der Autor dieser
Chronik ist und I. HAAS daran mitarbeitete. Die Arbeit ist in sechs
Teile gegliedert. Die elfseitige Vorbemerkung enthält vor allem die
politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Zeitraum
1700-1850, wobei in der tabellarischen Aufstellung der "Gründungen
geologischer Dienste im 19. Jahrhundert" die ältesten fehlen
(Geologische Dienste einzelner Teilstaaten der USA), man aber noch
eine Gründung aus dem Jahre 1911 (China) mit aufführte.
Die eigentliche "Chronik" (60 S.) umfaßt den Zeitraum 1740-1875. Aus
ihr wird deutlich, welche Personen [oft mit Kurzbiographien und Bild
(14)] sich aktiv um die Gründung der Landesanstalt und der
Bergakademie bemühten, wer an der Bergakademie lehrte, welche
Schwierigkeiten es gab und was in diesem Zeitraum an relevanten
Ereignissen passierte. Beispielhaft sei erwähnt, daß man die
Bergakademie zwar 1770 in Berlin gründete, sie aber zuerst Bergschule,
dann Berginstitut und erst ab 1774 Bergakademie (und später wieder
anders) nannte, daß man von 1794-1796 den ersten Kokshochofen des
Kontinents in Gleiwitz errichtete, daß im Jahre 1796 die staatliche
geologische Landesaufnahme in Preußen begann: L. VON BUCH bekam den
Auftrag zur Kartierung in Schlesien; die Karte wurde 1799 fertig. Die
vom Geheimen Oberbergrath ERNST HEINRICH CARL VON DECHEN 1841 verfaßte
Denkschrift "Die geognostische Landes-Untersuchung im Preußischen
Staate betreffend" führte nach mehr als 30 Jahren schließlich zur
Gründung der Preußischen Geologischen Landesanstalt. Der
Verf. arbeitet auch die Rolle heraus, die der Berghauptmann und
Direktor des Oberbergamts Breslau Dr. RUDOLPH VON CARNALL spielte, der
nach seiner Pensionierung 1861 als Landtagsabgeordneter viel für diese
Gründung tat, und die Leistung von Bergrat WILHELM HAUCHECORNE, der ab
1866 Direktor der Bergakademie und ab 1873 der Vereinigten
Geologischen Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin war, die
Ernennungsurkunde zum 1. Direktor derselben aber erst 1875 erhielt. Im
Personalbestand der Landesanstalt 1873 gab es bereits fünf
"Landesgeologen".
Im Anschluß an die "Chronik" gibt es eine vierseitige "Nachbemerkung"
(im wesentlichen Angaben zur Erstellung der Chronik, zu den Quellen
und Danksagungen sowie der Ankündigung eines in Arbeit befindlichen
zweiten Teils der Chronik), das sechsseitige "Literaturverzeichnis"
(einige der im Text zitierten Arbeiten fehlen darin), die "Quellen",
eine tabellarische Aufstellung von 158 "Ereignissen", wie Schreiben,
Berichte, Urkunden, Erlasse, Mittelfreigaben usw. (15 S., mit Angaben
zum Archiv/zur Bibliothek und der Signatur) und die "Anhänge 1-11". Zu
letzteren gibt es leider keine Übersicht, was sie enthalten. Dazu
gehören u. a. ein "Bericht des Bergrath GERHARD vom 23. Januar 1770",
die oben erwähnte Denkschrift von 1841, ein Ministererlaß von 1866 zur
" ... Benutzung des Maßstabes 1: 25 000 für die geologische
Landesaufnahme in Preußen" sowie die "Einleitenden Bemerkungen zu der
geologischen Special-Karte von Preußen und den Thüringischen Staaten"
von 1869 (Verf. W. HAUCHECORNE & H. E. BEYRICH). - Rez. vermißt jedoch
ein Personenregister zu der wichtigen Arbeit. Einige Ungenauigkeiten
und abweichende bzw. falsche Jahreszahlen können in einer Nachauflage
oder in den angekündigten nächsten beiden Teilen der Chronik [So steht
es auf dem Schutzumschlag des Heftes, im Gegensatz zum Text in der
"Nachbemerkung".] leicht korrigiert werden. - Auf dem Schutzumschlag
ist etwas zu berichtigen: Dort heißt es, daß das Heft mit den
Festreden zum Jubiläum beginne und im zweiten Teil die Chronik folge;
jedoch ist es umgekehrt richtig.
Der 2. Teil des Heftes ist der Jubiläumsveranstaltung am 1. Dezember
1998 in Hannover gewidmet. Man feierte 125 Jahre Preußische
Geologische Landesanstalt, 50 Jahre Geowissenschaftliche
Gemeinschaftsaufgaben, 40 Jahre Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe sowie 40 Jahre Niedersächsisches Landesamt für
Bodenforschung. Das Programm der Veranstaltung, die Ansprachen,
Grußworte und Vorträge ist abgedruckt. Die Redner würdigten die Rolle
der geologischen Dienste speziell in Deutschland, aber auch weit
darüber hinaus. So sprach der damalige (1998) Präsident von
EuroGeoSurveys, der Spanier I. E. EMILIO CUSTODIO GIMENA über "Tasks
of EuroGeosurves under the subsidiarity principle". Die Redner
stellten nicht nur die Geschichte der Bundesanstalt und der anderen
gefeierten Institutionen dar, sondern auch deren gegenwärtige und
zukünftige Aufgaben. Im Rahmen der Daseinsvorsorge für die Menschheit
ist die Zusammenarbeit der staatlichen geologischen Dienste
untereinander weit über Deutschland und Europa hinaus sowie mit
anderen wissenschaftlichen Einrichtungen und mit der Industrie
dringend nötig, worauf mehrere Redner hinwiesen.
Jeder, der sich für die Geschichte der staatlichen Geologie in
Deutschland sowie für die Aufgaben und die Bedeutung staatlicher
geologischer Dienste allgemein interessiert, muß dieses Heft lesen,
denn er erfährt darin sehr viele Details, die selbst Spezialisten kaum
oder nur teilweise bekannt sein dürften. Verantwortungsträger in
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollten vor allem den zweiten
Teil aufmerksam studieren, damit sie die Bedeutung geologischer Arbeit
für die Daseinvorsorge der Menschheit richtig beurteilen können, so
wie es die Regierungen vieler Staaten im 19. Jahrhundert taten.
D. H. STORCH
Zentralblatt für Geologie und Paläontologie Teil II, Jg. 2004, H. 3/4