Historisch-landschaftsökologische Arbeiten kommen bisher nur selten
über eine verbale, nicht quantifizierbare Beschreibung vergangener
Landschaften hinaus. Diese in der Arbeitsgruppe von Michael Succow an
der Universität Greifswald entstandene Dissertation unternimmt nun den
Versuch, eine historische Landschaft im Maßstab 1: 10.000 exakt zu
rekonstruieren und quantitativ mit ihrem heutigen Zustand zu
vergleichen. Als für größere Teile des norddeutschen Tieflandes
repräsentatives Beispiel dient ein 30 km2 großes Gebiet aus Mooren und
Grundmoräneninseln im Bereich der Trebelniederung westlich von
Greifswald. Der aktuelle Landschaftszustand (Vegetationstypen bzw.
Standortseigenschaften) wurde 1999 exakt kartiert, der historische
wird für das Jahr 1697 auf der Grundlage der Schwedischen
Matrikelkarten und zugehörigen Anrechnungsbüchern rekonstruiert. Diese
sind in Mitteleuropa wohl die ältesten Landkarten, die einen größeren
geographi schen Rahmen mit hinreichender Genauigkeit für derartige
Analysen abdecken.
Als Instrumentarium zur Darstellung des aktuellen wie auch zur
Interpretation des historischen Landschaftszustandes wird das an der
Universität Greifswald entwickelte Vegetationsformenkonzept verwendet:
Aufgrund von Vegetationsaufnahmen erkannte soziologisch-ökologische
Artengruppen und parallele Messungen oder Erfahrungen zu ökologisch
relevanten Faktoren werden in Beziehung gesetzt und erlauben dann
flächige Kartierungen in Form von Vegetations- und Standortkarten.
Auch Störungsgrad und Natürlichkeitsgrad lassen sich abschätzen und
systematisieren. Dieses sehr differenzierte Konzept wird ausführlich
vorgestellt und diskutiert. Insgesamt nimmt die in der Arbeit
entwickelte Methodik, d. h. die nachvollziehbare Ableitung der
resultierenden Kartiereinheiten aus der aktuellen Biotoperfassung und
der Schwedischen Matrikelkarte, den Hauptteil des Textes ein.
Im Ergebnisteil werden "Rekonstruierte Natürliche Zustände" - der
Zustand einer Landschaft zu einem festgelegten Zeitpunkt, wenn der
Mensch im Laufe der Landschaftsgeschichte niemals eingegriffen hätte -
sowohl für 1697 wie für heute vorgestellt. Diese beruhen auf Karten
der Bodenwasserverhältnisse, der Substrat typen und der sich hieraus
ergebenden Trophie. Die "historische" Vegetationskarte enthält
wesentlich mehr Vegetationsformen, teilweise ohne aktuelle Parallelen
(z. B. Hudewälder, extensiv genutzte Äcker, nasse Viehweiden). Alle
Karten befinden sich als interaktive Versionen auf der beiliegenden
CD. Eine Übersicht sowohl über die beiden Landschaftszustände als auch
zu den Veränderungen seit 1700 ergibt sich aus GIS-gestützten
vergleichenden Diagrammen, die sowohl die Unterschiede der Vegetation
selbst als auch verschiedener Standortfaktoren erkennen lassen. So hat
die Störungsintensität stark zugenornmen, der Wasserhaushalt wurde
nivelliert (fast völliges Verschwinden der Nassstandorte) und der
Nährstoffhaushalt stark zur eutrophen Seite verschoben. Schließlich
zeigen Karten des Natürlichkeitsgrades eine starke Zunahme naturferner
Vegetation.
Diese Ergebnisse sind im Wesentlichen natürlich nicht neu, und das
vorliegende Vegetationsformenkonzept ist - wie auch manche andere
Annahme auf dem Weg zu Vegetations- und standörtlichen Einheiten -
sicher teilweise kritisch zu betrachten. Die innovative und
interessante Leistung der Arbeit ist aber die wohl erstmalige
quantitative Erfassung der Zustände und ihrer Veränderungen mit
nachvollziehbarer Methodik. Die Weiterentwicklung dieser Methodik und
ihre Anwendung in anderen Naturräumen sind wichtige und spannende
Forschungsfelder einer zukünftigen Landschaftsökologie. Die
vorliegende landschaftsökologische Untersuchung ist für vorwiegend
regional arbeitende Botaniker auch deshalb interessant, weil die
heutigen Verbreitungsmuster von vielen Pflanzenarten nur über den
historischen Kontext erklärbar sind.
T. Heinken
Verhandlungen des Botanischen Vereins von Berlin und Brandenburg, 138. Band, Berlin 2005, S. 199-201