Mit der von Grund auf neu bearbeiteten 7. Auflage der „Geologie von
Mitteleuropa“ ist ein Klassiker der geowissenschaftlichen Literatur im
Buchhandel wieder erhältlich. Begründet wurde dieses Lehrbuch Anfang
der 50er Jahre von Paul DORN, unter dessen Ägide es drei Auflagen
erlebte und zu einem Standardwerk avancierte. Eine 4., gänzlich neu
bearbeitete Auflage erschien 1971 als „DORN/LOTZE“ unter Federführung
des Münsteraner Ordinarius Franz LOTZE. Dessen Schüler Roland WALTER
führte das Buchprojekt mit der 1992 in einer vollständigen
Neubearbeitung erschienenen 5. Auflage fort, der alsbald eine nur
wenig veränderte 6. Auflage folgte.
Anhand der bereits über mehr als ein halbes Jahrhundert
fortgeschriebenen „Geologie von Mitteleuropa“ lässt sich der gewaltige
Erkenntnisgewinn in der Erforschung dieser regionalgeologischen
Einheit deutlich ablesen. Im Zuge der Erarbeitung einer immer
verlässlicheren Datenbasis und der damit einhergehenden veränderten
Sichtweisen lieferten nicht zuletzt die Ergebnisse einer mancherorts
flächendekkenden Bohrtätigkeit, des Einsatzes geophysikalischer und
nicht zuletzt auch geochronologischer Methoden neue Anschauungen über
den Bau und die Entwicklungsgeschichte der betrachteten Region. Der
Paradigmenwechsel hin zur plattentektonischen Sicht auch auf
Mitteleuropa wurde erst in den von Bücherschau Fortsetzung WALTER
bearbeiteten Auflagen allmählich vollzogen. Schließlich brachte die
politische „Wende“ in Deutschland einen Datenfluss ungeahnten Ausmaßes
in Gang, der ebenfalls bedeutende Erkenntnisfortschritte mit sich
brachte.
Angesichts des gewaltigen Wissenszuwachses auf der einen und des
vorgegebenen Buchumfangs, der offensichtlich 500 Seiten nicht deutlich
übersteigen sollte, auf der anderen Seite, mussten verschiedene
Konzessionen gemacht werden. Bedauerlich ist, dass WALTER ab der
5. Auflage auf eine Behandlung des Alpenraumes verzichtet hat. In die
7. Auflage wurde das in den letzten beiden Auflagen von Hansjust
W. WALTHER und Harald G. DILL besorgte Kapitel „Bodenschätze
Mitteleuropas“ nicht mehr aufgenommen; Leser, die gerade dieser Aspekt
interessiert hätte, seien deshalb auf die 6. Auflage verwiesen. Eine
weitere Neuerung ist, dass die den einzelnen Kapiteln in der
Neuauflage jeweils angefügte Literaturauswahl nur Zitate nach 1990
berücksichtigt. Darauf mag der mit der älteren Literatur zur Geologie
Mitteleuropas vertraute Leser zunächst mit Ablehnung reagieren. Der
von WALTER vollzogene Schnitt ist allerdings der Flut an neuen
Veröffentlichungen geschuldet, mit deren Hilfe aber leicht auf frühere
Bearbeiter und Bearbeitungen zurückgegriffen werden kann. Um
allerdings keine falschen Signale auszusenden sei betont, dass die
Literatur seit 1990 natürlich wesentlich auf älteren Arbeiten aufbaut
und in vielen Fällen bei aktuellen Fragestellungen unverzichtbar
ist. Vielleicht hätten wirklich grundlegende Arbeiten vor 1990 auch in
die Neuauflage Eingang finden müssen.
Das Buch gliedert sich in fünf übergeordnete Kapitel, die in
zahlreiche Unterkapitel weiter untergliedert werden. Auf den
einführenden Übersichtsteil „Mitteleuropa als Ganzes“ (Kap. 1) folgen
die regionalen Darstellungen. Die einzelnen Regionen werden in
Großeinheiten zusammengefasst, wobei der tektonische Stockwerkbau das
Hauptgliederungskriterium darstellt. Zur Orientierung seien diese
Regionen im Folgenden genannt: „Das Vorquartär der Mitteleuropäischen
Senke“ (Kap. 2) umfasst die mittlere und südliche Nordsee-Senke, das
Dänische Becken und die Fennoskandische Randzone, das Niederländische
Senkungsgebiet, die Norddeutsche Senke, die Polnische Senke, das
Schlesisch- Krakauer Bergland sowie das Heiligkreuzgebirge. Kapitel 3.
behandelt „Das Quartär der Mitteleuropäischen Senke“, das in die
südliche Nordsee, die südliche Ostsee und in das Mitteleuropäische
Tiefland weiter untergliedert wird. „Das proterozoisch- paläozoische
Grundgebirge des Mitteleuropäischen Schollengebiets“ (Kap. 4) wird in
den folgenden Unterkapiteln abgehandelt: Brabanter Massiv,
Ardennisch-Rheinisches Schiefergebirge, Harz, Grundgebirge des
Odenwalds, Spessarts und der Pfalz sowie das Saar-Nahe-Becken,
Schwarzwald und Vogesen, Sächsisch-Thüringisches und
Nordostbayerisches Grundgebirge (Saxothuringikum i.e.S.), Lausitzer
Bergland und Westsudeten (Lugikum), Ostrand des Böhmischen Massivs
(Moravo-Silesikum), Moldanubikum s. str. und
Teplá-Barrandium. Schließlich wird „Das jungpaläozoisch-mesozoische
und känozoische Deckgebirge des Mitteleuropäischen Schollengebiets“
(Kap. 5) mit seinen einzelnen regionalgeologischen Einheiten
vorgestellt: Flandrische Tafel, Niederrheinische Bucht, Münsterländer
Kreidebecken, Hessische Senke und Rhön, Thüringer Becken, die
mesozoischen und tertiären Becken des Böhmischen Massivs, das
Süddeutsche Schichtstufenland, Oberrheintalgraben, das Linksrheinische
Mesozoikum zwischen dem Ardennisch- Rheinischen Schiefergebirge und
den Vogesen, Schweizer und Französischer Jura sowie das
Molasse-Bekken. Mehr als 180 Abbildungen veranschaulichen das im Text
Gesagte.
Mit der Neuauflage der „Geologie von Mitteleuropa“ liegt ein Werk vor,
in dem der gelungene Versuch unternommen wurde, den aktuellen
Kenntnisstand über diesen Raum zu vermitteln. Die den einzelnen
Kapiteln angefügte umfangreiche Literatur seit 1990 musste zu diesem
Zwecke vom Autor in mühevoller Arbeit gesichtet, durchgearbeitet und
zu einem Gesamtbild neu zusammengefügt werden. So ist eine Synopsis
entstanden, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sieht
man über kleinere Fehler im Text und Literaturverzeichnis hinweg, so
kann die 7. Auflage dieses Klassikers einem breiten Interessentenkreis
vorbehaltlos empfohlen werden. Mit Blick auf eine 8. Auflage sollte
allerdings darüber nachgedacht werden, ob nicht wieder der Alpen- und
auch der Karpatenraum als Teil Mitteleuropas in die Darstellung
einbezogen werden sollte.
Norbert HAUSCHKE, Halle (Saale)
der Aufschluss Jg. 59/1 2008, S. 45- 46