Viele Fragestellungen der Glasforschung können durch eine rein
kunsthistorische oder auch archäologisch-typologische Vorgehensweise
nicht beantworten werden. Die Erörterung grundlegender Probleme wie
etwa die Rohstoffe und ihre Herkunft, Ofenatmosphäre und Schmelzdauer
oder die exakten Produktionsstätten von Glasfunden erfordert
zusätzlich auch profunde Kenntnisse über die Glaszusammensetzung, für
die wiederum chemische Analysen unabdingbar sind. Es bedarf also einer
engen Zusammenarbeit zwischen Archäologen bzw. Kunsthistorikern und
Chemikern, die im deutschsprachigen Raum in vieler Hinsicht durch Karl
Hans WEDEPOHL repräsentiert wird.
In Glas in Antike und Mittelalter" stellt sich Karl Hans WEDEPOHL, wie
er selbst im Vorwort schreibt, folgerichtig als Naturwissenschaftler
einer kulturhistorischen Frage und versucht, mit Hilfe chemischer
Untersuchungen von Gläsern zur Klärung archäologischer Probleme
beizutragen.
Der Autor beschäftigt sich zunächst mit den wesentlichen Rohstoffen
für frühes Glas, also Quarz, Soda, Kalk, Holzasche, Bleioxide,
Farbzusätzen und Kochsalz. Er geht auf ihre chemische Zusammensetzung,
auf wichtige Charakteristika sowie auf das regionale und zeitliche
Vorkommen dieser Stoffe ein. Weiters zeigt WEDEPOHL auf, welche
Möglichkeiten bei der Bestimmung von Alter, Herkunft oder etwa
Schmelztemperatur einzelner Rohstoffe bestehen. Anschließend werden in
einzelnen Kapiteln Glasuren als Vorläufer des Glases, mesopotamisches,
ägyptisches, römisches, sassanidisches, byzantinisches,
frühislamisches, fränkisches, karolingisches und hoch- bis
spätmittelalterliches Glas behandelt. Für jede Epoche berichtet der
Autor zunächst über die historischen Rahmenbedingungen sowie den
Handel mit Rohstoffen und Glas. Anschließend werden die für die
jeweiligen Epochen typischen Rohstoffzusammensetzungen der
Glaserzeugung angeführt und mit anderen Regionen bzw. Epochen
verglichen. Die Konzentrationen der charakteristischen Elementoxide
werden in Form von zwei Dreiecksdiagrammen gut veranschaulicht. An
Hand der interdisziplinären Ergebnisse versucht der Autor auch, den
Produktionsablauf der römischen und mittelalterlichen Glashütten zu
rekonstruieren. Schließlich folgt ein Ausblick auf die Glaserzeugung
in der Neuzeit.
In einem sehr umfangreichen Tabellenanhang werden schließlich die
chemischen Analysen repräsentativer Gläser vorgelegt.
Schon die erste Überblicksarbeit von WEDEPOHL zu mittelalterlichem
Glas und seiner Zusammensetzung stellte auch für den Nicht-Chemiker
einen gut verständlichen Einstieg in die Chemie dieses Werkstoffes
dar. Diese gute Lesbarkeit trifft nun auch für die neue Publikation
des Autors zu.
"Glas in Antike und Mittelalter" bietet zunächst natürlich
grundlegende Informationen zu den Rohstoffen der Glaserzeugung sowie
den drei Grundrezepten der Glasherstellung, deren Laufzeiten von der
Antike bis zum Mittelalter variieren. Es wird versucht, die Gründe für
diese Änderungen sowie ihre Auswirkungen auf Technologie und Umwelt
darzulegen. Die Darstellung der Zusammensetzungen in Form von
Dreiecksdiagrammen sowie der ausführliche Tabellenanhang ermöglichen
einen guten Vergleich eigener Analyseergebnisse mit den hier
dargelegten Glastypen. Bedauerlicherweise sind die Grafiken etwas zu
klein abgebildet, sodass häufig einzelne Symbole nicht mehr
unterscheidbar sind. Karl Hans WEDEPOHL zeigt aber auch auf, dass
unter Heranziehung von chemischen Analysen über die Bestimmung der
Zusammensetzung hinweg - auch weiter reichende Aussagen zur
Glaserzeugung möglich sind.
Interessant ist so etwa der Vergleich der nachgewiesenen Rezepturen
mit den aus den antiken und mittelalterlichen Quellen überlieferten
Angaben. So spricht beispielsweise die Zusammensetzung der
hochmittelalterlichen Holzasche-Gläser - die gut mit den von
Theophilus Presbyter angeführten Rezepturen übereinstimmt - gegen eine
frühere Datierung des Theophilus-Textes in das frühe Mittelalter und
auch gegen eine Herkunft des Mönches aus dem byzantinischen Gebiet,
wie es immer wieder vermutet wurde.
Der Autor geht zudem auf wichtige archäologische Fundstellen wie etwa
den ägyptischen Glaswerkstätten in Amarna, den spätkaiserzeitlichen
Glashütten in Hambach und diverse mittelalterliche Waldglashütten in
Deutschland ein und präsentiert aktuelle Ergebnisse, die in
interdisziplinärer Zusammenarbeit gewonnen wurden. Diese erlauben
z. B. eine Rekonstruktion der Technologie sowie der Produktionspalette
der jeweiligen Hütten sowie das Herausarbeiten von
Produktionsgebieten.
Schließlich verschafft die besprochene Publikation auch Einblicke zum
Gebrauch von Glas bzw. zu häufigen Glasformen von der Antike bis in
das Mittelalter, wobei der jeweilige historische und kulturhistorische
Rahmen berücksichtigt wird.
Karl Hans WEDEPOHL ist es gelungen, die in seinem Vorwort definierte
Fragestellung bezüglich der Klärung kulturhistorischer Probleme zum
Werkstoff Glas vom Standpunkt eines Naturwissenschaftlers von
möglichst vielen Seiten zu beleuchten und neue mögliche Ansätze
aufzuzeigen. Klar offenbart sich die Bandbreite an Erkenntnissen, die
durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kollegen möglich
ist. WEDEPOHL bietet also mit dieser Publikation - unter
Berücksichtigung chemischer, historischer, archäologischer und
kunsthistorischer Ergebnisse - eine spannende und umfassende
Darstellung der Geschichte des Glases und der Glaserzeugung, die
durchaus auch zur intensiveren Beschäftigung mit diesem bedeutenden
Werkstoff anregen sollte.
Kinga Tarcsay
Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 20/2004