Anläßlich des 100. Geburtstages und zugleich des 50. Todestages des
Begründers der Kontinentdrift-Theorie fanden im Jahre 1980 in Berlin
zwei bedeutende wissenschaftliche Veranstaltungen statt. Während die
Geowissenschaftler aus dem Westen Deutschlands im Westen Berlins zum
(1.) internationalen Alfred-Wegener-Symposium zusammenkamen, wurde von
den Geowissenschaftlern der damaligen DDR das Thema zum Gegenstand der
27. Jahrestagung ihrer Gesellschaft für Geologische Wissenschaften
gemacht, die im Ostteil Berlins stattfand. Die wissenschaftlichen
Beiträge beider Veranstaltungen wurden publiziert. Aus gleichem Anlaß
wurden am ehemaligen Cöllnischen Gymnasium in Berlin-Mitte, wo Wegener
1899 sein "Abituriatenexamen" abgelegt hatte, sowie am ehemaligen
elterlichen Wohnhaus in Berlin-Halensee, von wo aus sich Wegener mit
Datum vom 12.2.1909 um die licentia docendi an der Universität Marburg
(Lahn) beworben hatte, Gedenktafeln enthüllt. Und schließlich
erschien im selben Jahr ein photomechanischer Nachdruck der 1. und
der 4. Auflage4, 5 von Wegeners Hauptwerk, und zwar, durchaus
bemerkenswert für die damalige Zeit, im Vieweg-Verlag Braunschweig und
zeitgleich und in gleicher Ausstattung im Akademie-Verlag Berlin
(-Ost).
Ein viertel Jahrhundert später fand anläßlich des 125. Geburtstages
und 75. Todestages Wegeners in Bremerhaven an dem Institut, das seinen
Namen trägt und im selben Jahr auf 25 Jahre seines Bestehens
zurückblicken konnte, das 2. Internationale Alfred-Wegener-Symposium
statt. Dazu erschien erneut ein Nachdruck der 1. und der 4. Auflage
der "Kontinente", womit diese antiquarisch nur noch selten
erhältlichen Klassiker jedem an der Geschichte der Geologie
Interessierten wieder zur Verfügung stehen.
Inhaltlich und damit in seiner Bedeutung für die geohistorische
Forschung geht der neuerliche Nachdruck über seinen Vorgänger von 1980
weit hinaus, indem als Druckvorlage ein seinerzeit außer der Reihe
gefertigtes Sonderexemplar mit eingeschossenen Vakatseiten, auf denen
Wegener handschriftlich seine zahlreichen Korrekturen, Verbesserungen
und Ergänzungen (die auf dieser Seite abgebildete Titelseite des
Buches von 1915 zeigt ein Beispiel - in diesem Falle mit Notizen
größtenteils in dänischer Sprache) für eine geplante 2. Auflage
aufgezeichnet hat, zur Verfügung stand. Neu erarbeitet wurden durch
den Herausgeber ein alphabetisch geordnetes Literaturverzeichnis der
4. Auflage, das Wegeners numerisch geordnetes Literaturverzeichnis
modifiziert und damit der wissenschaftlichen Nutzung einfacher
erschließt, sowie je ein Abbildungsverzeichnis und ein Namens- und
Sachregister für die 1. und die 4. Auflage. In einer Einleitung zu
Inhalt, Bedeutung und Entstehung (R. Krause, G. Schönharting, J.
Thiede) kommt auch einer von Wegeners Enkeln zu Wort.
Weitere handschriftliche Aufzeichnungen Wegeners wurden zeitgleich im
Bd. 516 der Berichte zur Polar- und Meeresforschung in Gestalt eines
Faksimiledrucks eines Notizbuches aus dem Besitz von Alfred Wegener
publiziert und damit erstmals der Forschung zugänglich gemacht. Das
über mehrere Jahre geführte Notizbuch umfaßt knapp 200 beschriebene
Seiten und enthält Literaturexzerpte, Kommentare, Briefe und weitere
Gedanken und wissenschaftliche Daten. Die Aufzeichnungen beginnen Ende
1920 (d. h. unmittelbar nach Erscheinen der 2., gänzlich
umgearbeiteten Auflage der "Kontinente") und schließen damit
unmittelbar an die Aufzeichnungen in der oben vorgestellten
Publikation an, während Wegener den nach Erscheinen der 3. Auflage7
niedergeschriebenen Texten ausdrücklich die Bemerkung "Notizen für
die 4. Aufl. d. Entstehung d. Kontinente und Ozeane" vorangestellt
hat.
Die originalen Aufzeichnungen belegen, wie Wegener ein Leben lang
unermüdlich Material für sein Hauptwerk zusammengetragen und sich
damit auseinandergesetzt hat. Vor allem aber erhellen sie in
einzigartiger Weise den methodischen Arbeitsstil des Forschers. Anders
als Hans Stille, der exponierte wissenschaftliche Kontrahent seines
mobilistischen Denkansatzes, kam Wegener zu neuen Erkenntnisen, ohne
daß eine konzeptionistisch geprägte Betrachtungsweise sein Denken
determinierte. Folgerichtig hatte Wegener - typisch für
Nicht-Konzeptionisten - nur sehr wenige Schüler. Die große Schar
etablierter und überzeugter Stille-Schüler und also mitnichten die
angebliche "Fachfremdheit" des vermeintlichen Außenseiters war es,
die einer rascheren Anerkennung seiner Theorie entgegenstand.
Ulrich Wutzke, Ahrensfelde
ZGW 34 (2006) 5, S. 346-348