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„Der Lebensraum und die Organismenwelt, die ihn erfüllt, stehen in
innigem Zusammenhang Man kann die Fauna und Flora eines bestimmten
Lebensbezirks nur verstehen, wenn man die Eigenart der
Lebensbedingungen, die ihn beherrschen, kennt.
Wir wollen im folgenden schildern, welche Eigentümlichkeiten die
Gewässer Mitteleuropas zeigen, und wie von ihnen die Zusammensetzung
der Tier- und Pflanzenwelt dieser Gewässer abhängt. Dabei können
selbstverständlich nicht alle Gewässer im einzelnen behandelt werden;
wir werden nur die Haupttypen herausgreifen.
Eine derartige zusammenfassende Darstellung ist bisher in der
hydrobiologischen Literatur nicht vorhanden. Allerdings hat
R. Lauterborn in seiner Behandlung der "Süßwasserfauna" im
Handwörterbuch der Naturwissenschaften auch die "Lebensbezirke des
Süßwassers“ geschildert. Doch brachte es die Kürze, in der ein solcher
Lexikonartikel abzufassen, war, mit sich, daß die Schilderung der
Lebensbedingungen der einzelnen Gewässertypen ziemlich unvollständig
sein mußte. Needham und Lloyd haben in ihrem, für amerikanische
Studenten bestimmten Lehrbuch der Süßwasser-biologie „The Life of
Inland Waters“ ebenfalls eine Zusammenstellung der "Aquatic Societys“
gegeben, die indessen nur amerikanische Verhältnisse berücksichtigt.
Gleichsam eine Vorarbeit für eine Hydrobiologie der Gewässer-typen gab
Steiner im Schlußkapitel seines Buches „Untersuchungs-Verfahren und
Hilfsmittel zur Erforschung der Lebewelt der Gewässer“, in dem er die
einzelnen „Gewässerformen“ kurz charakterisierte und die
Hauptliteratur über sie zusammenstellte.
Unsere hydrobiologische Charakteristik der Haupttypen der Gewässer
Mitteleuropas wrird also mit der Lückenhaftigkeit eines ersten
Versuches behaftet sein, kann aber doch vielleicht einmal eine
Grundlage für ein der Zukunft vorbehaltenes „Lehrbuch der
Hydrobiologie der Binnengewässer“ abgeben.“
Mit diesen, vor 4 Jahren niedergeschriebenen Sätzen begann ich meine
Arbeit über „Die Gewässer Mitteleuropas; eine hydrobio-logische
Charakteristik ihrer Haupttypen“, die im ersten Band des Handbuchs der
Binnenfischerei Mitteleuropas von Demoll-Maier (Stuttgart,
E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung 1924) erschien. Inzwischen
hat die Wissenschaft von den Binnengewässern, die Limnologie, kräftig
weitergearbeitet; eine Fülle von Einzelveröffentlichungen ist
erschienen und schwillt von Jahr zu Jahr mehr an. Eine Zusammenfassung
über die Lebensverhältnisse im Süßwasser bringt der Schlußteil des
gerade in 3. Auflage herauskommenden „Lebens der Binnengewässer“ von
Lampert, und Ernst Hentschel hat in seinen „Grundzügen der
Hydrobiologie“ den Versuch gemacht, die Charakteristika des Lebens
sowohl im Meere wie im Süßwasser einheitlich darzustellen. Aber es ist
eigentlich selbstverständlich, daß eine so junge Wissenschaft, wie es
die Limnologie ist, in den Zusammenfassungen der verschiedenen
Forscher eine recht verschiedene Gestaltung annimmt und noch nicht wie
ihre älteren biologischen Schwesterwissenschaften zu einem
einheitlichen Schema der lehrbuchmäßigen Darstellung gekommen ist. Daß
indessen die von mir gewählte Anordnung des Stoffes eine einigermaßen
natürliche war, glaube ich daraus entnehmen zu dürfen, daß sie sich
weitgehend deckt mit der, der R. Hesse in den Süßwasserkapiteln seiner
„Tiergeographie auf ökologischer Grundlage“ gefolgt ist.
Gerade jetzt ist in der Limnologie ein gewaltiger Aufschwung zu
verzeichnen; die Zahl ihrer Jünger nimmt in fast allen Kulturländern
stetig zu; ihre Ziele werden weiter gesteckt, ihre Problemstellungen
vertieft.
Daher erscheint mir die Zeit für die Abfassung eines Lehrbuches der
gesamten Limnologie noch nicht gekommen. Aber Einzelteile aus dem
Gesamtgebiete herauszugreifen und zusammenfassend darzustellen, dazu
liegt ohne Zweifel ein Bedürfnis vor, vor allem auch bei den
zahlreichen Beziehungen, die die moderne Limnologie, sei es die rein
theoretische, sei es die angewandte, zu ihren Nachbargebieten gewonnen
hat. Die Sammlung von Einzeldarstellungen aus der Limnologie und ihren
Nachbargebieten, die wir mit diesem Bande beginnen, will jenem
Bedürfnis entgegenkommen und so an ihrem Teile mitwirken nicht nur an
der Verbreitung linmologischen Wissens, sondern auch am weiteren
Ausbau der limnologischen Wissenschaft.
Das vorliegende Buch stellt eine zweite Auflage meiner „Gewässer
Mitteleuropas“ dar. Die alte Gliederung des Stoffes ist geblieben;
aber das Ganze ist von neuem durchgearbeitet und unter
Berücksichtigung der inzwischen erschienenen Literatur ergänzt und
erweitert sowie teilweise ganz neu geschrieben worden.
Plön, Pfingsten 1925 - August Thienemann