Genau wie bei der 16 Jahre vorher erschienenen 1. Auflage (Duphorn et
al. 1995) liefern die Autoren mit der zweiten, erheblich erweiterten
und aktualisierten Auflage dieses geologischen Führers wieder eine
professionelle Einführung in die – nach geologischen Zeitmaßstäben
betrachtet – extrem junge und immer noch im ständigen Wandel
begriffene Landschaft der deutschen Ostseeküste. Die ehemaligen und
die heutigen Küstenformen dieser außergewöhnlichen Landschaft sind von
drei Haupteinflussfaktoren bestimmt: 1) Durch die wechselvolle
Geschichte der Ostsee mit ihrer glazialen bzw. postglazialen
Entstehungsgeschichte sowie 2) den auch im Holozän sehr
unterschiedlichen Klimabedingungen und Wasserständen und 3) ist die
Entwicklung der Küste ebenso maßgeblich durch die vielfältigen
glazigenen, glaziären und holozänen Erscheinungen, Groß- und
Kleinformen an Land, die in Küstennähe auch noch unter Wasser
nachweisbar sind, kurz zusammengefasst, den morphologischen und
einmalig vielfältigen petrographischen Hinterlassenschaften einer
mehrphasigen Eisbedeckung mitbestimmt: Die im Pleistozän gestauchten
Ablagerungen erheben sich im Berichtsgebiet stellenweise mehr als 100
Meter über NN und reichen sehr oft mehr als 100 Meter tief, bis dort
erst der präquartäre Untergrund ansteht.
Schließlich hat auch der Mensch, mindestens seit dem Mittelalter,
einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die heutige Form der
Ostseeküste gehabt. Schon sehr früh (z. B. 1487 an der Warnow-Mündung
und 1587 an der Hohen Düne) hatte man einzelne Fahrrinnenveränderungen
und Küstenschutzmaßnahmen ergriffen, spätestens aber nach der
Jahrhundertflut 1872 systematisch und permanent die Gestalt der Küste
verändert. Ein Umdenken brachte der moderne Naturschutz mit
sich. Durch Naturregenerationsmaßnahmen wird stellenweise ein
moderater Rückbau der anthropogenen Eingriffe durchgeführt, zugleich
aber immer auch die ständige Gefährdung dieser Landschaft und des
darin lebenden Menschen im Auge behalten.
Sehr nützlich dabei, den neuen geologischen Führer genau zu lesen,
sind bereits die Vorbemerkungen auf der ersten Seite, wo es um einige
gegenüber der ersten Ausgabe geänderte Definitionen geht. Zum Beispiel
liest man dort: „Für Norddeutschland beträgt der Unterschied zwischen
NN (Normalnull) und NHN (Normalhöhennull) + 4 cm.“ Für die Angabe der
Salinität des Meerwassers wird heute die dimensionslose Einheit PSU
empfohlen und es geht auf der Seite 34 um die genaue Bedeutung der
Abkürzung BP (vor heute) und anderer, weil je nach Zeitalter
verschiedene Chronologieverfahren und -zählweisen (Radiometrische
Altersangaben, Radiokohlenstoff-Jahre, Kalenderjahre,
Baumringchronologie und Warvenzählungen) verfügbar, gebräuchlich und
voneinander zu unterscheiden sind.
Wie bei diesen geologischen Führern üblich, findet man im jetzt
erweiterten ersten Hauptteil zunächst eine gründliche Einführung in
das Berichtsgebiet, das auch durch die 19 Farbabbildungen
charakteristischer Landschaftsteile und Aufschlüsse anschaulich
vorgestellt wird. Die nicht nur Geographen und Quartärgeologen
betreffenden zahlreichen Aspekte des Buches macht schon die in der
Einführung vorangestellte kurze Einleitung deutlich, die den
Klimawandel und Klimaschutz, den Meeresspiegelanstieg und Küstenschutz
sowie Geotourismus und Geo-Archäologie thematisiert. Auch wird in
wissenschaftlicher Korrektheit an verschiedenen Stellen deutlich
gemacht, dass stellenweise die Genese eines Landschaftsteiles immer
noch ungeklärt bzw. zwischen verschiedenen Autoren strittig ist.
Der zweite Hauptteil schlägt insgesamt 17 Exkursionen vor und
beschreibt sie ausführlich, beginnend in Schleswig-Holsteins Norden an
der Flensburger Förde, bis zur Südküste des Kleinen Haffs in
Vorpommern (auf der Farbkarte im Umschlag und auf der Seite 124 auch
mit Oderhaff bezeichnet). Vor Ort wird dann besonders deutlich, welche
großen Unterschiede zwischen den drei Küstentypen, der Fördenküste an
der Kieler Bucht Schleswig-Holsteins, der Großbuchtenküste in Holstein
und Mecklenburger Bucht sowie der Ausgleichsküste im östlichen Drittel
des Berichtsgebietes bis hin zur Pommerschen Bucht bestehen.
Im Einzelnen handelt es sich um die Beschreibungen der folgenden
Exkursionen: Flensburger Förde; Die Schlei und die Halbinsel
Schwansen; Eckernförder Bucht; Kieler Förde; Probstei und Howachter
Bucht; Wagrien und Fehmarn; Lübecker Bucht; Wismar – Bucht und
Umgebung; Kühlungsborn – Rostocker Heide und Fischland – Darß –
Zingst. Zum Berichtsgebiet der Exkursionen 11–14 folgt zunächst der
Einschub Die Inseln Hiddensee und Rügen – ein einführender Überblick,
um dann mit Hiddensee und den Beschreibungen von Jasmund und Wittow
(Rügen); Schaabe, Schmale Heide, Jasmunder Bodden (Rügen); Südost-
Rügen; Südküste des Greifswalder Boddens; Usedom und schließlich die
Südküste des Kleinen Haffs fortzufahren.
Eine mit dem Kambrium beginnende Stratigraphische Tabelle, 25 Hinweise
auf Karten und Erläuterungen zum Berichtsgebiet, ein aktualisiertes,
37 Seiten umfassendes, die jüngere Literatur benennendes
Literaturverzeichnis, ein kleingedrucktes, 8 Seiten umfassendes
Ortsregister und ein ebenso langes Sachregister schließen das
interessante Werk ab.
Auch an der vom Nordwesten nach Osten unterschiedlichen speziellen
Begrifflichkeit erkennt man die erstaunliche lokale (und
kulturgeschichtliche) Vielfalt der morphologischen
Erscheinungen. Vielleicht wäre deshalb für den Einsteiger in das Thema
ein kleines Glossar hilfreich, das mit dem Höft oder Höved und im
Norden mit der Ortsnamensendung „..nis“ anfängt – die alle für einen
Sporn oder Vorsprung stehen – und über Berme, Bodden, Noor, Reffen,
Riegen, Riek und Runsen über Schaar (Riff, Untiefe) und Schorre bis
zum Wieck reichen könnte. Andererseits muss man die Erläuterung
einiger Begriffe gleich bei der ersten Verwendung im Text lobend
erwähnen.
Der wie gewohnt handliche und als Reisebegleiter zwecks gründlichem
Kennenlernens dieser von den Gletschern der Eiszeit erschaffenen
Küstenlandschaft geeignete Führer ist jedem aufgeschlossenen und
bildungshungrigen Touristen, jedem Studenten der Geographie, der
Geologie oder der Ökologie und besonders den Quartärgeologen unbedingt
zu empfehlen. Erst durch das Verständnis der Genese und des
immerwährenden Wandels dieser zum Teil sehr fragilen Landschaft
bekommt man den klaren Blick für viele Erscheinungen, die man sonst
einfach übersehen würde. Ferner wird auf zahlreiche regionale
geschichtliche, kulturelle und kulturgeschichtliche,
wissenschaftsgeschichtliche, geologische, ökologische und faunistische
Besonderheiten hingewiesen, die zu immer neuen Exkursionen und
Erkundungszügen Anreize liefern. Als interessante Beispiele seien aus
der Vielzahl der Hinweise hier nur drei genannt: 1. (Seite 105) In den
1950er und 1960er Jahren wurden an der Küste Schwermineralseifen
„abgebaut“, primär um Zirkon zu gewinnen, da man dies für die
Ummantelung der Kernbrennstäbe benötigte. 2. (Seite 188) Napoleon
wollte den Hemmelsdorfer See als Hafen für seine Ostseeflotte
ausbauen. 3. (Seite 274) Zur Entwässerung der Lobber Niederung (Südost
Rügen) diente einst ein Windschöpfwerk, dass heute restauriert als
Technisches Denkmal dient.
Kleine Fehler oder erklärungsbedürftige Ungereimtheiten sollen jedoch
nicht unerwähnt bleiben: Auf der Seite 161 muss es statt Hammargranit
von Bornholm, Hammergranit heißen. Bei den Exkursionen sind die
Abbildungsnummern nicht fehlerfrei: Bei der Exkursion 5 folgt auf
Abbildung 5.1 schon die 5.3 und dann gleich die Abbildung 5.6. Ferner
fehlen die Abbildungen E 4.1, E 6.5, E 7.4, E 8.6, E 9.3, E 10.1, E
10.5, E 12.3, E 12.5, E 13.3 und E 16.3. Diese redaktionellen
Unzulänglichkeiten schmälern aber keineswegs den Wert des
ausgezeichneten Führers.
Gerhard Schöne, Wedel
Zentralblatt f. Geologie u. Paläontologie Teil II Jg. 2013, Heft 3-4