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Eine bemerkenswerte Erscheinung in der Pflanzengeographie ist der
Kosmopolitismus vieler Pilzgattungen. Er findet sich nicht nur bei
niederen, sondern in beträchtlichem Maße auch bei höheren Pilzen. So
bekannte Gattungen wie Boletus, Paxillus, Russula, Lactarius,
Rhodophyllus, Coprinus, Lepiola, Amanita, Marasmius, Lentinus,
Pleurotus, Schizophyllum, Collybia, Mycena, Polyporus, Trametes,
Phellinus, Thelephora, Clavaria, Ramaria, Lycoperdon, Geastrum,
Cyathus und andere sind, selbst im Sinne der heutigen engen
Gattungsauffassung, auf allen Kontinenten und in allen Klimazonen
vertreten, wenn auch z.T. in unterschiedlicher Artenzahl. Selbst
artenarme Splittergattungen wie Anellaria, Lepista, Laccaria,
Ramariopsis, Pycnoporus, Mycocalia, die zweifellos ganz
natürliche, phylogenetisch homogene Gruppen bilden, sind
kosmopolitisch verbreitet. Wiewohl sich diese Beispiele noch
beträchtlich vermehren ließen, darf andererseits nicht übersehen
werden, daß nicht wenige Pilzgattungen auf bestimmte Florenreiche oder
noch kleinere Gebiete beschränkt sind. Insgesamt ist jedoch der
Kosmopolitismus auf Gattungsebene bei höheren Pilzen eine gewöhnliche
Erscheinung, ganz im Gegensatz zu anderen Landpflanzengruppen wie den
Pteridophyta (Christ 1910) und Spermatophyta (Good 1953), die nur sehr
wenige kosmopolitische Gattungen aufzuweisen haben.
Das Phänomen des generischen Kosmopolitismus kann daher bei Pilzen
besonders gut studiert werden; dies muß natürlich im Zusammenhang mit
einer gründlichen taxonomischen Bearbeitung geschehen. Es erschien mir
lohnend, die taxonomisch-chorologische Gliederung einer solchen
Gattung zu untersuchen und dabei die in der Spermatophytentaxonomie
gebräuchliche geographisch-morphologische Methode (Wettstein 1898)
anzuwenden, zumal derartige Untersuchungen an Pilzen noch nicht
vorliegen.
Meine Wahl fiel auf die Gattung Bovista Pers. ex Pers.‚ und
zwar aus folgenden Gründen:
1. Es handelt sich um eine kosmopolitische Gattung mit einer
mittleren, überschaubaren Artenzahl.
2. Die Fruchtkörper sind verhältnismäßig leicht zu herbarisieren und
nach Herbarmaterial zu bestimmen; die Beschaffung und Beurteilung des
notwendigen Studienmaterials aus allen Erdteilen ist daher wesentlich
leichter als z. B. bei Blätterpilzen.
3. Aus dem gleichen Grunde sind die Typuskollektionen der einzelnen
Taxa vollständiger vorhanden und sicherer zu beurteilen als bei vielen
anderen Pilzgruppen.
4. Die Gattung bot eine Fülle von taxonomischen und nomenklatorischen
Problemen, so daß auch in dieser Hinsicht neue Ergebnisse zu erwarten
waren.
5. Frühere Untersuchungen an mitteleuropäischen Vertretern (Kreisel
1962) hatten mir bereits gezeigt, daß die Arten pflanzengeographisch
deutlich differenziert sind.
Schließlich verdient erwähnt zu werden, daß die Gattung Bovista
der Familie Lycoperdaceae angehört, welche in jüngster Zeit
durch die Entdeckung eines Antitumor-Antibiotikums (Calvacin: Roland
et a1. 1960, Beneke 1963) ein gewisses praktisches Interesse gewonnen
hat. Bisher wurde Calvacin bei Arten der Gattung Calvatia,
Fr. i.w.S. gefunden, die zu Bovista enge phylogenetische Beziehungen
hat, wie noch gezeigt werden wird.
Die Untersuchungen gliedern sich in einen taxonomischen Teil, welcher
die Bewertung der Merkmale, die Abgrenzung und Gruppierung der Arten
zum Ziel hat, und einen chorologischen Teil, welcher die Areale der
unterschiedenen Sippen vergleicht, die Ursprungs- und
Mannigfaltigkeitszentren herausstellt und die Arealentwicklung zu
deuten versucht. Aus beiden Teilen ergibt sich schließlich eine phylo-
genetische Konzeption.