Das Devon der südlichen Lahnmulde in Westerwald und Taunus mit seinen
unter- bis mitteldevonischen Rupbach- Schiefern ist seit dem
19. Jahrhundert für seine Fossilführung bekannt. Seit den
1990er-Jahren fanden auch die reichen Trilobitenvorkommen der Gegend
zunehmend Beachtung. Fundortbezeichnungen wie
„Gutenacker“,„Steinsberg“ oder „Heckelmanns Mühle“ sind mittlerweile
überregional, wenn nicht sogar international bekannt. Dennoch lag
eine umfassende und modernen wissenschaftlichen Standards genügende,
monographische Darstellung der devonischen Trilobiten der Lahnmulde
bislang nicht vor. Das ändert der kürzlich publizierte Band der
„Senckenbergischen Abhandlungen“, dessen Erscheinen von „Insidern“
schon mit Spannung entgegen gesehen wurde.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Warten hat sich gelohnt.
Die vorliegende Abhandlung stellt eine konsequente Fortsetzung der,
von dem Bochumer Trilobiten-Spezialisten Martin Basse begründeten,
(Eifel-)Trilobiten-Monographien dar und weitet die Untersuchungen auf
den rechtsrheinischen Raum aus, wiederum in bewährter Zusammenarbeit
mit Peter Müller, einem weiteren ausgewiesenen Trilobiten- und
Devon-Kenner. Die Autoren widmen sich hier den Trilobitenfaunen aus
dem Grenzbereich Unter-/Mitteldevon der Lahnmulde, wobei der
Schwerpunkt klar auf den Rupbach-Schiefer gelegt wird. Die
Auswertungen der Vorkommen im Leun-Schiefer und Ballersbach-Kalk haben
demgegenüber einen noch eher vorläufigen Charakter.
Der Text gliedert sich im Wesentlichen in einen allgemeinen und einen
systematischen Teil plus ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit
mehr als 780 Einträgen. Der etwa 60 Seiten umfassende allgemeine Teil
beschäftigt sich ausführlich mit der Geologie, Stratigraphie,
Paläogeographie und Fazies der Fundregion bzw. der einzelnen
Fundpunkte, greift aber auch paläobiologische Aspekte, wie Ontogenie
und Paläopathologie, auf. Es findet sich hier eine Fülle von
Informationen, die für den Fachwissenschaftler wie für den
interessierten Laien gleichermaßen von Nutzen ist. Unter anderem wird
die bisherige Grenzziehung von unterlagernder Scheidt-Formation zu
Rupbach- Schiefer neu überdacht. Zeitgemäß ist auch die Beschreibung
der beobachteten Beziehungen von Trilobiten mit Epizoen, also
Organismen, die den Trilobitenpanzer besiedelt haben. Dieser Passus
erscheint mir dank der Vorsicht, welche die Autoren bei der
diesbezüglichen Diskussion an den Tag legen, besonders gelungen. Die
kurze Darstellung der Trilobiten-begleitenden Makrofauna deutet das
Potential einiger Fundpunkte (hier: Schaumburg V und I) hinsichtlich
anderweitiger Untersuchungen an. Der stratigraphisch und taxonomisch
ausgerichtete Vergleich des Rupbach-Schiefers mit ähnlichen
Trilobiten-Vorkommen, sowohl im rheinischen Schiefergebirge wie auch
im übrigen Europa und nordwestlichen Afrika, ist für Leser mit
überregionalem Interesse höchst willkommen.
Den weitaus größten Raum beansprucht die systematische Beschreibung
und Diskussion der einzelnen Trilobitentaxa inklusive der Vergleiche
mit verwandten, in- und ausländischen Formen. Eingehend besprochen
werden 34 Arten aus sieben Ordnungen bzw. neun Familien, einige davon
in offener Nomenklatur. Formal neu beschrieben und benannt werden zwei
Untergattungen und 13 Arten, 11 davon aus der Lahn- bzw. Dillmulde und
je eine aus Spanien und Marokko. Für die (Unter)Gattungen
Diademaproetus, Acastoides, Psychopyge, Koneprusia, Kettneraspis,
Leonaspis, Aulacopleura (Paraaulacopleura) sowie Cyphaspides
(Cyphaspides) wird mit dem aktuellen Material die bislang
umfangreichste Dokumentation aus dem eurasischen Raum vorgelegt. Für
den Rupbach-Schiefer lässt sich konstatieren, dass er in seinem
tieferen Anteil eine diverse, auffallend gondwanisch geprägte,
rheinisch-hercynische Mischfauna liefert, die im Verlauf der Zeit vom
Ober- Emsium bis zum frühen Eifelium sukzessive verarmt und durch
zunehmend hercynisch geprägte Faunen abgelöst wird.
Auf 33 Tafeln werden 377 Einzel- und Detailaufnahmen gezeigt,
überwiegend von bestechender Qualität und groß genug um die wichtigen
Einzelheiten erkennen zu lassen. Einige wenige Aufnahmen, so auf den
Tafeln 31-32, hätte sich der Betrachter größer gewünscht. Das tut der
Tatsache aber keinen Abbruch, dass der Tafelteil insgesamt und über
seinen wissenschaftlich hervorragenden Gehalt hinaus einen
ästhetischen Genuss darstellt. Das liegt zum einen daran, dass
P. Müller beim Anfertigen der mit Magnesiumoxid berauchten
Silikonkautschuk- Abgüsse und ihrer anschließenden fotografischen
Dokumentation hervorragende Arbeit geleistet hat. Zudem konnten die
Autoren aus einer Fülle von Material auswählen, die viele
Sammler/innen über etliche Jahre zusammengetragen und für eine
Bearbeitung zur Verfügung gestellt haben. Die Rede ist hier von
mehreren Tausend Trilobiten-Fossilien. Damit haben diese Sammler/
innen nicht unerheblich zum Gelingen der Monographie beigetragen, was
seinen Niederschlag auch in den Benennungen der neuen Arten
findet. Erfreulich ist, dass das gesamte neue Typenmaterial im
Original und darüber hinaus umfangreiches Belegmaterial in öffentliche
Sammlungen überführt wird, was längerfristig die taxonomische
Stabilität sichert. So ist der vorliegende Band ein beredtes Zeugnis
für die fruchtbare Zusammenarbeit von Forschern und Sammlern. Das
meiste des hier von Fundpunkten in aktiven Steinbrüchen, wie etwa
„Heckelmann- Mühle“, dokumentierten Materials wäre ohne den
Enthusiasmus aller Beteiligter weder gefunden und gesammelt noch
präpariert worden. Die Ressourcen der offiziellen Stellen für
langfristige Beobachtungen und Aufsammlungen sind sehr eingeschränkt
und Denkmalschutz in der Paläontologie muss sich dann an den Fakten
orientieren.
Beim Betrachten der Fotografien stellt man immer wieder erstaunt fest,
wie überaus detailliert sich dieses in oft geschmähter
„Steinkern-Erhaltung“ vorliegende Material unter günstigen Umständen
und mit geeigneten Methoden darstellen lässt. Es steht dann den
schalenerhaltenen Trilobiten, wie man sie beispielsweise aus dem Devon
der Eifel, aus Marokko oder dem Ordovizium von St. Petersburg kennt,
kaum nach. Besonders beeindruckend wirken in dieser Hinsicht einige
Präparate der Odontopleuriden-Gattungen Koneprusia, Kettneraspis oder
Leonaspis wegen ihrer starken Bestachelung. Auch die Dokumentation
bislang noch nicht gesehener Details der Ventralseite des Panzers
mancher Taxa verdient besondere Erwähnung, auch wenn zum gegenwärtigen
Zeitpunkt deren systematische Aussagekraft, mangels vergleichbarer
Exemplare, noch unklar ist.
Im Anhang A wird in 94 Tabellen das gesamte(!) in die Publikation
eingeflossene Material aufgelistet, wobei unter anderem Fund- und
Aufbewahrungsort, sowie Inventarnummern und Finder/in auf
übersichtliche Weise nachvollziehbar sind.
Die Wortwahl bei der (im Übrigen gerechtfertigten) Kritik an der einen
oder anderen vorangegangenen Arbeit ist vielleicht stellenweise etwas
harsch ausgefallen. Formatierungs- und Druckfehler sind
vernachlässigbar selten. Allerdings gibt die auf Seite 64
angesprochene Autorschaft des nominellen Taxons Arthropoda auch hier
wieder Anlass zur Diskussion, denn die mir zur Verfügung stehende
Ausgabe der zitierten von Siebold’schen Publikation datiert von 1848
(nicht 1845).
Als Fazit kann festgehalten werden, dass der hier vorgelegte Band das
Referenzwerk für devonische Trilobiten der Lahnmulde ist und wohl auch
für lange Zeit bleiben wird. Darüber hinaus stellt er eine
unverzichtbare Datenquelle für jede Bearbeitung von Trilobitenfaunen
mit stratigraphischen und paläogeographischen Bezügen dar. Die
vorbildliche Ausführung und großzügige Tafelausstattung rechtfertigen
den nicht unerheblichen Preis. Ich wünsche dem Werk die weite
Verbreitung, die es zweifellos verdient.
Markus Poschmann, Koblenz
POLLICHIA-Mitteilungen Band 98 (2017)