Image de couverture de: Indra Starke-Ottich; Georg Zizka - Wildnis in Frankfurt

Indra Starke-Ottich; Georg Zizka:

Wildnis in Frankfurt

2022. 296 Seiten, 285 Abbildungen, 21 Tabellen, umfangreicher Anhang (16 Tabellen), 17x22cm, 770 g
Langue: Deutsch

(Senckenberg Bücher, Nr. 87)

ISBN 978-3-510-61422-6, brosch., Prix: 22.90 €

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Lebensraum • Ökologie • Stadtnatur • Flora • Fauna

Contenu

Inhaltsbeschreibung Haut de page ↑

Von „Wildnis“ spricht man, wenn es in einem Lebensraum kaum Eingriffe des Menschen gibt und eine natürlich ablaufende, gesetzmäßige Entwicklung stattfinden kann. Doch diese Grundeigenschaft von Natur ist in Städten kaum noch zu beobachten und zu erfahren. Wie kann dieses Defizit behoben werden? Kann und soll es in dicht besiedelten Räumen, wie zum Beispiel der Großstadt Frankfurt, überhaupt Wildnis geben? Das Buch beantwortet diese Frage mit einem klaren „Ja!“. Es zeigt, was geschieht, wenn Pflege von ausgewählten Grünflächen zumindest für eine gewisse Zeit ausgesetzt oder auf ein Minimum beschränkt wird. Das ermöglicht den in der Stadt lebenden Menschen nicht nur die wichtige Naturerfahrung vor der Haustür, häufig erhöht sich dadurch außerdem die Artenvielfalt im städtischen Raum.

Das vorliegende Buch befasst sich mit Flächen, die sich für solche Entwicklungen der Stadtnatur eignen, und lenkt den Blick auch auf „Wildniselemente“, die wir manchmal mit Füßen treten und leicht übersehen. Oder aber auf Lebensräume, die jeder kennt, die aber in ihrer Bedeutung für die Stadtnatur meist unterschätzt werden, zum Beispiel Friedhöfe oder Flächen an der Autobahn. Schließlich werden zwei große „Wildnisflächen“ in Frankfurt vorgestellt, der Nordpark Bonames und der Monte Scherbelino, sowie die dort über einen längeren Zeitraum beobachteten Veränderungen von Flora und Fauna.

285 farbige Abbildungen illustrieren die verschiedenen Themen und umfangreiche Listen der dokumentierten Arten sind im Anhang zusammengestellt.

Ziel des Buches ist es, bei allen Naturinteressierten und in der Stadtplanung Tätigen den Blick für diese wertvollen Flächen und ihre Entwicklung zu schärfen – nicht zuletzt, um zu einer höheren Wertschätzung der „Wildnis in der Stadt“ beizutragen und weitere Maßnahmen in diesem Sinne anzuregen.

Rezension im Jahrbuch des Nassauischen Vereins für Naturkunde, Bd. 144 (2023) Haut de page ↑

Der im Oktober 2022 herausgekomme­ne mittlerweile vierte Band zur Frank­fur­­ter Stadtnatur zeigt an ausgewählten Beispielen, dass trotz der extremen Flächenkonkurrenz in Großstädten Lebens­räume ohne oder mit nur wenigen Eingriffen des Menschen in eine natürlich ablaufende Entwicklung möglich sind und wie Defizite behoben werden könnten.
Im ersten von sieben Kapiteln wird die Zielsetzung dieses Buches näher erläutert und anhand vieler Beispiele die Bedeutung der Wildnisflächen sowohl für die Artenvielfalt als auch für die in Frankfurt lebenden Menschen aufgezeigt.
Im zweiten Kapitel wird neue Wildnis alter Wildnis gegenübergestellt. Ein Beispiel für neue Wildnis ist die noch nicht abgeschlossene Re-naturierung des Fechenheimer Mainbogens. Es wurden nicht nur neue Gewässer geschaffen, sondern auch die aktuellen Lebensräume und die Artenvielfalt mit großem Aufwand kartiert. Ein Beispiel für alte Wildnis ist der Biegwald, heute ein Relikt der Auenwälder des Flüsschens Nidda mit einem alten Eichen-Hainbuchen-Bestand. Der ursprüngliche Wildnischarakter ist insbesondere wegen der schrittweisen Regulierung der Nidda und somit Eingriffen in den Gebietswasserhaushalt sowie Ver­­kehrssicherheitsmaßnahmen in diesem Naherholungsgebiet gefährdet. Das be­trifft nicht nur die Pflanzenwelt und den Lebensraum für Vögel, sondern auch den streng geschützten Heldbock, einen der größten Käfer Mitteleuropas. Als drittes Beispiel wird die alte Kulturlandschaft Sossenheimer Unterfeld vorgestellt, die nicht „wild“, aber trotzdem ökologisch wertvoll ist (u. a. Streuobstwiesen, Feuchtbiotope), wie eine ausführliche Biotopkartierung nachgewiesen hat.
Das dritte Kapitel, überschrieben mit „Zwischen Ruhe und Lärm“, bezieht sich auf den Frankfurter Hauptfriedhof und das Frankfurter Autobahnkreuz, zwei Gebiete, die unterschiedlicher nicht sein können. Es überrascht zwar nicht, dass jetzt schon extensiv genutzte Bereiche des Hauptfriedhofs mit vielen alten und neuen Pflanzen und einer reichen Vogelwelt ein „Biodiversitäts-Hotspot“ mit knapp 320 nachgewiesenen Taxa im Stadtgebiet sind, als solcher gilt für Experten aber auch das Frankfurter Kreuz. Überwiegend ruderal geprägte Stauden- und Grasfluren konnten sich dort relativ ungestört entwickeln und auch Tiere, müssen aber Belastungen durch Lärm, Erschütterungen und Abgase ertragen.
Im vierten Kapitel geht es um wilde Nachbarn, vornehmlich um viele Tierarten, die sich die Stadt mit dem Menschen teilen, häufig als Kulturnachfolger wie der Rotfuchs oder die Amsel, die das Nahrungsangebot nutzen oder auch bessere Verstecke und Fortpflanzungsmöglichkeiten finden als in der freien Natur. Viele Tiere haben sich an den Menschen gewöhnt wie die meisten Vögel, andere leben weitgehend im Verborgenen wie die Fledermäuse, die im Fokus dieses Kapitels stehen. Näher thematisiert wird auch der Efeu, der einen ganz speziellen Lebensraum an Frankfurter Mauern bildet, für viele Tiere einen Rückzugsort darstellt und für die Städte zahlreiche Ökosystemleistungen erbringt wie u. a. als grüner Luftfilter.
Das fünfte Kapitel widmet sich zunächst der Vegetation der Pflasterfugen und der Baumscheiben. Diese Klein(st)lebensräume im versiegelten Bereich beherbergen eine erstaunliche Artenvielfalt. Ein dritter Beitrag befasst sich mit dem Götterbaum, einem in Frankfurt mittlerweile etablierten invasiven Neophyten.
Im sechsten Kapitel wird das Projekt „Städte wagen Wildnis – Vielfalt erleben“ vorgestellt, das von 2016 bis 2020 zusammen mit zwei Partnerstädten durchgeführt wurde. Frankfurt hatte für das Projekt den Nordpark Bonames und Brachflächen am Fuß des Monte Scherbelino, einer früheren Mülldeponie, ausgewählt, in ihrer Biotopstruktur sehr unterschiedliche Areale. Die Zielsetzung war die über einen längeren Zeitraum laufende Beobachtung von Flora und Fauna. Weitere Beiträge dieses Kapitels befassen sich speziell mit der Avifauna, den Wildbienen, den Heuschrecken und weiteren Insekten in diesen beiden Wildnisflächen und ziehen ein Fazit aus den fünf Projektjahren.
Das siebte und letzte Kapitel dieses Buches listet zusammenfassend die urbane Wildnis in Frankfurt und die mit gezielten Maßnahmen erfolgte Förderung der Arten- und Biotopvielfalt auf und betont die große Bedeutung der Ökosystemleistungen der Stadtnatur. Es wird aber auch deutlich gemacht, dass das rasche Voranschreiten der Versiegelung städtischer Flächen zeigt, dass bei der Umsetzung der Erkenntnisse noch erhebliche Lücken bestehen.
Ziel dieses Buches ist es, bei allen Naturinteressierten und in der Stadtplanung Tätigen den Blick für diese wertvollen städtischen Wildnisflächen und ihre Entwicklung zu schärfen. Das Buch ist nicht nur zu empfehlen, weil es gut geschrieben ist und 285 farbige Abbildungen die verschiedenen Themen illustrieren, sondern weil es auch Anstöße gibt, die „Wildnis in der Stadt“ wertzuschätzen und weitere Maßnahmen zu ihrer Förderung anregt.

Benedikt Toussaint

Inhaltsverzeichnis Haut de page ↑

Warum Wildnis in der Stadt? 8
Neue Wildnis – alte Wildnis 14
Die Renaturierung des Fechenheimer Mainbogens 16
Der Biegwald – ein Relikt ursprünglicher Wildnis mitten in der Stadt 28
Nicht wild, aber trotzdem wertvoll? 42
Die alte Kulturlandschaft Sossenheimer
Unterfeld
Zwischen Ruhe und Lärm 56
Wildes Leben am Frankfurter
Hauptfriedhof 58
Frankfurter Kreuz – europäischer Knotenpunkt 70
und unbekannter Hotspot der
Diversität
Wilde
Nachbarn 84
Vertikale Wildnis – Efeu an Mauern und seine
Bewohner 86
Heimliche Nachbarn – Fledermäuse in Frankfurt 103
Wildniselemente im Siedlungsbereich 116
Die übersehene Stadtnatur – Vegetation der
Pflasterfugen 118
Baumscheiben – ein unterschätzter städtischer
Lebensraum 132
„Wild gewordene“ Pflanzen in Frankfurt: der Götterbaum 138
Städte wagen Wildnis 146
Pflanzenvielfalt der Frankfurter Wildnisflächen 148
Vögel in der Wildnis 160
Wildbienen in der
Wildnis 170
Heuschrecken in der
Wildnis 182
Was fliegt denn da? Insektenvielfalt in der
Wildnis 190
Erkenntnisse aus fünf Projektjahren „Städte wagen
Wildnis“ 201
Zukunft der Stadtwildnis 210
Literatur 218
Glossar 228
Anhang: Artenlisten 234

Rezension in Berichte der Bayerischen Botanischen Gesellschaft, Band 93 Haut de page ↑

Die Stadt Frankfurt am Main ist sicherlich eher bekannt für ihre
in Deutschland einzigartige Skyline als für ihre „Wildnis“. In einer
Zeit jedoch, in der die Stadtnatur für die Stadtentwicklung immer
wichtiger wird, da sie die Chance eröffnet, dass Städte sich besser an
den Klimawandel anpassen können und damit lebenswert bleiben, möchte
das vorliegende Buch „Wildnis in Frankfurt“, veröffentlicht von der in
Frankfurt ansässigen Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, auch
den Blick für die Frankfurter Stadtnatur öffnen, und damit zu einer
höheren Wertschätzung der „Wildnis“ in der Stadt und einem
respektvollen Umgang mit ihr beitragen.

Die Autoren stellen in einzelnen Kapiteln unterschiedliche Aspekte der
Stadtnatur vor, beispielsweise werden „neue“ und „alte“ Wildnis
gegenübergestellt – auf der einen Seite das Renaturierungsprojekt des
Fechenheimer Mainbogens und auf der anderen Seite der Biegwald als
Relikt ursprünglicher Wildnis mitten in der Stadt. Am Frankfurter
Kreuz, dem Knotenpunkt mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in
Mitteleuropa, zeigen besonders die offenen, nährstoffarmen Bereiche
zwischen den Autobahnen A3 und A5 eine hohe Artenvielfalt, was für den
Botaniker sicherlich nicht überraschend ist, möglicherweise aber für
andere Leser des Buches. Auch den Themen Fassadenbegrünung mit Efeu,
Ausbreitung des Götterbaums (Ailanthus altissima (Mill.)
Swingle) im Stadtgebiet, sowie Wildniselemente im Siedlungsbereich wie
Pflasterfugenvegetation und Baumscheibenvegetation ist jeweils ein
eigenes Kapitel gewidmet. Darüber hinaus werden zwei unterschiedliche
Flächen vorgestellt, die im Rahmen des vom BfN geförderten Projektes
„Städte wagen Wildnis – Vielfalt erleben“ im Zeitraum 2016–2021
ausgewählt wurden, nämlich der Nordpark Frankfurt Bonames im Norden
Frankfurts, gekennzeichnet durch Fließgewässer und Kulturlandschaft,
sowie der Monte Scherbelino im Stadtwald im Südosten Frankfurts am
Offenbacher Kreuz, gekennzeichnet durch Brachflächen und
Stillgewässer. Beide Flächen haben eine Kernzone, in der natürliche
Sukzession stattfindet, aber auch Zonen, die Nutzungen
unterliegen. Die floristischen Untersuchungen dieser Flächen wurden
von der Arbeitsgruppe Biotopkartierung am Senckenberg
Forschungsinstitut und Naturmuseum begleitet. Im Anhang des Buches
finden sich Gesamtartenlisten von Gefäßpflanzen, aber auch von Vögeln,
Laufkäfern und Spinnen der im Buch vorgestellten Flächen.

Der Text ist reich bebildert und dadurch sehr angenehm zu lesen, und
durch die vielen, unterschiedlichen Themen, die angesprochen werden,
ist für jeden etwas dabei. Leider fehlen größere Übersichtskarten, so
dass jeder Nicht-Frankfurter erst einmal Google Maps bemühen muss, um
herauszufinden, wo sich die angesprochenen Flächen und Orte genau
befinden.

Das Buch ist sicherlich nicht nur für Frankfurter:innen oder
Frankfurt-Reisende interessant, die ein Alternativprogramm zu den –
ebenfalls sehr sehenswerten – Frankfurter Museen suchen, sondern kann
auch Nicht-Frankfurter:innen als Anregung dienen, in der eigenen
Stadt nach ähnlichen „Wildnis“-Strukturen Ausschau zu halten, denn
z.B. Pflasterfugen und Baumscheiben finden sich überall und sind
spannend zu beobachten.

Julia Wellsow