Die Geographie der Küsten und Meere wurde in der Vergangenheit eher
vernachlässigend in deutscher Sprache behandelt, doch die dritte neu
bearbeitete und erweiterte Auflage „Physische Geographie der Meere und
Küsten. Eine Einführung“ von Prof. Dr. Dieter Kelletat, verschafft
eine vertiefende, deutschsprachige Übersicht über die Hydrologie,
Geologie und Geomorphologie der Meere sowie über allgemeine Prozesse
in den Ozeanen und an den Küsten. Besonderer Schwerpunkt wurde in
diesem Band auf die Küstenprozesse (mehrheitlich physisch, aber auch
geringfügig anthropogen) gelegt, da hier der größte Bedarf an kurzen
Zusammenfassungen besteht. Herausgegeben wurde die Literatur von den
Professoren Dr. Baumhauer, Dr. Gebhardt, Dr. Bendix und Dr. Reuber in
der Reihe „Studienbücher der Geographie“ (früher: „Teubner
Studienbücher der Geographie“). Das 2013 erschienene Buch ist für
Studierende der Geographie aber auch für Laien geeignet, da die
Sachverhalte logisch verständlich und anschaulich mit zahlreichen
Abbildungen (234, teilw. schwarz-weiß, teilw. bunt) und Tabellen (22)
dargestellt werden. Die Vereinfachung von Themen kann jedoch auch zu
Missverständnissen führen, worauf später noch eingegangen wird. Schon
im Vorwort wird allerdings daraufhin gewiesen, dass aufgrund der
Komprimierung des Stoffes, einige Themenbereiche sehr oberflächlich
bis teilweise gar nicht behandelt werden.
Nun, mancher Leser dieser Rezension wird sich vielleicht fragen, warum
es überhaupt wichtig ist, die Meere und Küsten vermehrt in die
Geographie zu integrieren. Ganz davon abgesehen, dass die Ozeane mehr
als 70% der Erdoberfläche bedecken, über die Hälfte aller Menschen an
Küsten leben und die Meeresgeographie schon alleine deshalb hohe
Relevanz besitzen sollte, kommen in naher Zukunft im Hinblick auf den
Klimawandel und dem damit verbundenen Meeresspiegelanstieg sowie
zunehmende Sturm- und Überflutungsgefahr an Küsten, Ozeanversauerung
und Korallenbleiche; globale, nationale, regionale als auch lokale
Probleme auf Geographen und Geographinnen zu. Gerade im Bereich des
Risikomanagements und der Prävention von Naturgefahren wird es hier im
Themengebiet der Geographie sehr interessant. Doch auch in der
Geovisualisierung und Fernerkundung wird es spannend, denn gerade im
marinen Management ist ein Anstieg des Bedarfes an Experten, die mit
GIS Programmen (ArcGIS) umgehen können, zu verzeichnen. Genau deshalb
sollte das Studium der Ozeane und Küsten nicht den Ozeanographen und
den Meeresökologen alleine überlassen werden.
Das Fachbuch ist auf 257 Seiten in neun Oberkapitel eingeteilt, wobei
Kapitel 2 „Gliederung, Gestaltung und Potential der Meeresräume“ und
Kapitel 3 „Küsten und Küstenformung“ zahlreiche Unterkapitel aufweisen
und damit auch den Hauptteil des Buches einnehmen. In diesen beiden
Kapiteln finden sich auch die meisten Abbildungen und Tabellen. Im
ersten Kapitel „Geographie der Meere und Küsten“ wird ein knapper
wissenschaftlicher Überblick über die Geschichte der Ozeanforschung
gegeben. Zudem wird auf die wachsende Relevanz der Meeres- und
Küstenforschung für die Geographie hinsichtlich der Fernerkundung
eingegangen. Im zweiten Kapitel „Gliederung, Gestaltung und Potential
der Meeresräume“ werden die Physik, die Geologie und die
Geomorphologie des Meeres genauer beschrieben. Kapitel 2 ist des
Weiteren in neun Unterkapitel gegliedert. Hier werden Themenbereiche
von der Topographie (Submarine Canyons, Mittelatlantische Rücken etc.)
über die Eigenschaften des Meerwassers (diese werden jedoch nur sehr
knapp erläutert) hin zu den Gezeiten und Strömungen der Ozeane
behandelt. Besonders positiv zu benennen ist hier anfangs eine
Tabelle, die deutsche und englische Bezeichnungen der submarinen
Formen abbildet. Dies ist äußerst hilfreich, da doch die meiste
weitergehende Literatur in Englisch verfasst ist. Auffällig ist eine
unscharfe Abbildung über die thermohaline Zirkulation, welche
qualitativ besser hätte dargestellt werden können. Zudem sind alle
Abbildungen im zweiten Kapitel in schwarz-weiß, wobei es bei der einen
oder anderen Darstellung durchaus hilfreicher gewesen wäre, diese in
Farbe zu wählen. Doch muss berücksichtigt werden, dass das Buch mit
29,90€ sehr preiswert und dadurch die Anzahl an farbigen
Illustrationen limitiert ist. Es ist anzumerken, dass keinerlei
mathematische Formeln aufgezeichnet werden, weshalb das Buch für den
Laien sehr geeignet erscheint. Für jemanden, der sich mit dem Thema
schon vermehrt auseinandergesetzt hat, weist dies jedoch auf
fachlich-inhaltliche Mängel hin. Auffallend positiv sind die
aufgezeigten Quellenhinweise zu einzelnen Themenbereiche, die den
Leser zum vertiefenden Studium anregen. Diese sind für jedes
Unterkapitel aufgeführt. Zudem wird zu dem aktuellen Thema der
Meeresspiegelschwankungen die Forschung einzelner Studiengebiete
vorgestellt.
Im dritten Kapitel, welches in vier Unterkapitel mit jeweils wieder
mehreren Unterkapiteln aufgeteilt ist, geht es um die Physik und
Geomorphologie der Küsten. Anhand zahlreicher räumlicher Beispiele
werden hier unterschiedliche Küstenformungen und deren Prozesse
aufgezeigt und erklärt, wie z. B. endogen bestimmte Küsten,
Ingressionsküsten etc. Auf die Entstehung des deutschen Wattenmeeres
wird dagegen nur kurz eingegangen, da es in diesem Bereich genug
literarische Veröffentlichungen gibt. Es werden sowohl Abtragungs- als
auch Aufbauvorgänge ausführlich erläutert. Diese werden vor allem in
dem Gebiet der Geomorphologie genauer erklärt, jedoch werden ebenfalls
biogene Prozesse aufgeführt, so z. B. die Beteiligung von Seegras und
Seetang, Mangroven als auch Korallen. Im Unterkapitel „Organische
Gesteinsbildungen: Korallenriffe“ könnte es zu einem Missverständnis
kommen, da keine Unterscheidung zwischen Warm- und Kaltwasser-Korallen
gemacht wird und der Leser somit den Anschein bekommt, dass Korallen
nur in warmen Meeren leben. Allerdings macht der Autor an sich keinen
Fehler, da er nur von riffbildenden Korallen spricht, welche ebenso
genannte Warmwasser-Korallen sind und in Symbiose mit Zooxanthellen
leben. Positiv ist die Nennung von englischen Begriffsbezeichnungen im
Text selbst, wodurch die Literatur internationaler wirkt.
Kapitel 4 behandelt die „Relikte quartärer Meeresspiegelstände“ und
ist in nur zwei Unterkapitel aufgeteilt. Das erste befasst sich mit
den pleistozänen Meeresterrassen und –ablagerungen und geht auf die
unterschiedlichen Meeresspiegelschwankungen in der Vergangenheit
ein. Ein deutlicher Fokus wird auf das zweite Unterkapitel „Holozäne
Meeresspiegelschwankungen“ gelegt, da dieses Thema die Menschheit
aktuell beeinflusst. Es wird auf Schwächen in der Forschung
hingewiesen, wie beispielsweise die Bestimmung früherer Meeresspiegel
nach nicht einheitlichen Indikatoren. Auf genauere Prognosen
hinsichtlich des zukünftigen Meeresspiegelanstiegs wird nicht
eingegangen, da das Thema sehr umstritten ist. Stattdessen wird
zusammengefasst, dass wissenschaftliche Übereinstimmung über einen
globalen Anstieg des Meeresspiegels seit min. 100 Jahren besteht. Der
kontroverse Diskurs wird zudem durch eine Tabelle mit je nach Quelle
verschiedenen Werten, unterstützt.
In Kapitel 5 werden die anthropogenen Eingriffe an den Küsten von der
Vergangenheit bis zur Gegenwart erläutert. Küstenschutzmaßnahmen wie
Deichbau, Tetrapodenwälle etc., Abbau von Rohstoffen an den Küsten,
Aquafarming sowie Maßnahmen landeinwärts, die die Küste indirekt
beeinfl ussen (wie bspw. Staudämme in Flüssen, Landwirtschaft etc.)
werden kurz und knapp benannt und deren Auswirkungen erklärt. Diese
werden zudem mit Abbildungen veranschaulicht. Auf die Verschmutzung
der Meere und den anthropogenen Treibhauseffekt wird ebenfalls kurz
eingegangen, dies jedoch nur sehr oberfl ächlich. Etwas irritierend
ist die Äußerung über die Versauerung der Meere und der
Korallenbleiche, welche im Absatz der Verschmutzung der Meere
platziert ist. Diese hätte weitaus besser in den Absatz des
Treibhauseffektes gepasst, da die Versauerung der Meere durch einen
weltweiten CO2-Anstieg in der Atmosphäre erfolgt und die
Korallenbleiche überwiegend durch Warm- und Kaltwasser Ereignisse
ausgelöst wird (zu geringen Teilen auch durch Verschmutzung). Diesen
beiden, sehr wichtigen Themen, wird mit der kurzen Erwähnung
jedenfalls nicht gerecht und lassen einige Fragen beim Leser offen.
Im sechsten Kapitel werden Gefährdungspotentiale der Küsten durch
Wellen und Sturmeinfl üsse beschrieben. Die Autoren erläutern die
Entste- hung, Verbreitung und Wirkungsweise tropischer Wirbelstürme
und die Funktionsweise heutiger Frühwarnsysteme. Die genetische
Küstenklassifikation auf geomorphologischer Grundlage wird im siebten
Kapitel beschrieben. Im vorletzten Kapitel befasst sich der Autor mit
der Problematik der Zonierung von Küsten in der Forschung, da
Uneinigkeit hinsichtlich der Merkmale, an denen diese festgemacht
wird, besteht. Im letzten Kapitel nennt der Autor noch viele
ungeklärte Fragen und Themen in der physischen Küsten- und
Meeresforschung, welche einen Ausblick auf weitere
Forschungsmöglichkeiten geben.
Zwar liegt der Schwerpunkt dieses klassischen Lehrbuches auf der
Physischen Geographie der Meere und Küsten, doch dadurch, dass in den
letzten Kapiteln anthropogene Auswirkungen, Gefährdungspotentiale
etc. aufgeführt werden, ist es abwechslungsreich und
anregend. Trotzdem werden einige Fragen offengelassen, welche dem
beschränkten Textumfang des Buches zuzuschreiben ist. Allerdings
werden dem Leser genug Möglichkeiten und Anregungen zum Weiterstudium
geboten. Zusammenfassend ist dieses komprimierte Fachbuch ein Gewinn
für die Physische Geographie und deren Studierende.
Ilka Beith, B.Sc. Geographie (Ruhr-Universität Bochum)
GeoLoge volume 2-2018