Schon beim ersten Durchblättern wird man anhand der vielen Abbildungen
und der aufgelockerten Gestaltung neugierig darauf, sich intensiver in
den Inhalt des Kataloges zu vertiefen. Obwohl zum 150jährigen Jubiläum
des Namen gebenden Fundes im Neandertal 2006 bereits eine Reihe
Veröffentlichungen zur Evolution des Menschen erschienen, bietet die
vorliegende Publikation noch einmal eine kompakte Zusammenfassung.
Verständlich geschrieben, gibt sie umfangreiche Einblicke in Arbeit
der Wissenschaftler von der Ausgrabung bis zur plastischen
Rekonstruktion von fossilen Funden, wobei jeweils der aktuelle Stand
der Forschung berücksichtigt wurde.
Nach einem Grußwort des Hessischen Ministerpräsidenten und dem Vorwort
des Generaldirektors der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
zur Einführung in die Sonderausstellung „Safari zum Urmenschen“,
gliedert sich der Band in sechs Kapitel und schließt mit der Nennung
der Förderer und dem obligatorischen Impressum ab.
Der Ausstellungskatalog ist ausgestattet mit einer ansprechenden
grafischen Gestaltung. Die gut verständliche Tabellen, Übersichten und
Karten sind sehr anschaulich, die farbigen Fotos sind passend zu den
Texten ausgewählt und mit kurzen Bildunterschriften versehen. Sie
geben teilweise nicht alltägliche Einblicke in die Arbeit der Forscher
des Senckenberg- Institutes.
Begriffserklärungen und Zusatzinformationen sind in farbig abgesetzten
Kästen (z.B. Sensationsfund „Ida“ oder: Die Herstellung von
Steingerät) den jeweiligen Themen zugeordnet.
Populäre Kurzüberschriften (z.B. „Schweizer Taschenmesser“ der
Frühzeit oder: Eher Bummelei statt Blitztour ) gliedern die Texte
innerhalb der Kapitel und machen sie dadurch noch übersichtlicher. Am
Ende eines jeden Kapitels befinden sich, als eine Rezensionen Art
Zusammenfassung, die ganz persönlichen Expertenmeinungen von
Prof. Dr. Friedemann Schrenk und Dr. Ottmar Kullmer. Schade, dass die
Klebebindung nicht stabil genug ist, um den Band auch über längere
Zeit zum Nachschlagen zu nutzen.
Zum Auftakt gibt das Kapitel 1 „Safari zum Urmenschen – entdecken,
erforschen erleben“ einen kurzen Überblick über die Arbeiten der
Wissenschaftler von der Entdeckung von Fossilien bis zur Ausstellung
im Museum.
Im anschließenden Kapitel „Auf der Suche nach uns selbst – Fossilien
entdecken in Afrika“ erhält man eine kurze Einführung in die
Geschichte der Erkundungen zur Herkunft des Menschen, ausgehend von
dem sensationellen Fund 1856 im Neandertal, über die Entwicklung der
Evolutionstheorie durch Charles Darwin bis hin zu den aktuellen
Feldforschungen in Afrika. Anschaulich wird dabei gezeigt, welche
verschiedenen Gebiete der Wissenschaften sich unter dem Dach der
Paläoanthropologie mit der Menschwerdung beschäftigen. Erklärt wird,
dass nicht mehr nur die Überreste von Vor- und Frühmenschen, sondern
ebenso Spuren von Flora, Fauna sowie der geologische Befund Auskunft
über die Lebensbedingungen und die Umwelt der frühen Menschen in
Afrika geben. Anhand des geschilderten Ablaufes eines Arbeitstages
während einer Grabungskampagne lassen sich die Anstrengungen der
Forscher in z.T. unwirtlichen Gebieten Afrikas genauso nachempfinden
wie ihre Freude über Entdeckungen, seien sie auch noch so klein.
„Detektivarbeit im Labor – Unsere Herkunft erforschen“, das
3. Kapitel, berichtet über die ebenso spannende, wie mühevolle
Kleinarbeit, die notwendig ist, um die Funde zu Hause im Labor
freizulegen, zu kopieren und zu erforschen. Modernste Technik hilft
den Forschern dabei, die Funde zu datieren und einzuordnen. Von
besonderer Bedeutung für die verschiedenen Analyseverfahren erweisen
sich dabei fossile Zahnfunde von Hominiden, also von Vor-, Früh- und
Urmenschen. Für Vergleiche werden jedoch auch die rezenten Zähne von
großen Menschenaffen herangezogen.
Am umfangreichsten stellt sich Kapitel 4 „Vom Menschenaffen zum Homo
sapiens – Die Evolution der Menschheit erleben“ dar. Von der Zuordnung
des Homo sapiens im Linnéschen System der biologischen Kategorien bis
hin zu ersten künstlerischen Äußerungen des anatomisch modernen
Menschen wird ein weiter Bogen der Entwicklung gespannt. Spannend
auch die Erläuterungen der Ergebnisse von molekularbiologischen
Untersuchungen der Erbinformationen, nach denen Schimpanse und Mensch
zu über 98 % identisch sind. Die Abspaltung der zum heutigen Menschen
führenden Zweige von den Menschenaffen konnte aufgrund dieser geringen
genetischen Abweichung errechnet werden und soll vor etwa 7 bis 5
Millionen Jahren stattgefunden haben.
Als zusätzliche Information wird sogar der erst kürzlich bekannt
gewordene Fund „Ida“, ein 47 Millionen Jahre alter Überrest eines
Halbaffen-Weibchens aus der Grube Messel, vorgestellt. Ausführlich
werden Hominoidea (Menschenaffen und Mensch) beschrieben, ihre
biologischen Besonderheiten, ihre geografische Verbreitung bis zu
anatomischen Veränderungen zwischen Affe und Mensch im Verlauf der
Entwicklung des aufrechten Ganges beim Menschen. Natürlich werden
auch die verschiedenen Thesen der Besiedelung der Kontinente durch die
ersten Menschenarten vorgestellt – „Out-of-Africa“ oder
Multiregionales „lumper“-Modell. Grafisch sehr anschaulich dargestellt
sind jeweils Gegenüberstellungen der anatomischen Merkmale, etwa die
Ausrichtung der Hinterhauptsöffnung, die Wirbelsäule sowie Becken,
Beine, Füße, Arme und Hände. Kurz und eindrücklich werden sehr
komplexe Zusammenhänge zwischen den Veränderungen im Laufe der
Evolution des Menschen erläutert, etwa zwischen dem aufrechten Gang
und dem unanhängig werden der Hände, der Hirnvergrößerung und der
Herstellung von Steingeräten. Die Nutzung des Feuers und der Gebrauch
der Sprache werden ebenso thematisiert wie das Leben und Überleben in
der Eiszeit. Aktuellste wissenschaftliche Erkenntnisse vom
Neandertaler bis zu den ersten Kunstwerken des anatomisch modernen
Menschen werden sehr anschaulich dargeboten, immer in der Kürze, die
ein Ausstellungskatalog gebietet.
Das folgende Kapitel 5 „Gesichter der Familie Mensch – Die
Ahnengalerie“ enthält alle 27 lebensecht rekonstruierten Kopfmodelle,
die in der Ausstellung gezeigt werden und sicher die Publikumsmagnete
in der gesamten Präsentation bilden dürften. Sie wurden von den
niederländischen Brüdern Adrie und Alfons Kennis geschaffen. Ihre
Figuren bestechen im Gegensatz zu früheren Nachbildungen durch
individuelle Mimik, z.B. der lachende Neandertaler, der die Besucher
seit 2006 im Neanderthal Museum in Mettmann begrüßt.
Besonders ansprechend sind neben den Abbildungen auch die prägnanten
Beschreibungen unserer Ahnen, vom Sahelanthropus tchadensis bis zum
Homo floresiensis. Der „Steckbrief“ enthält die wichtigsten
Informationen zum jeweiligen Fossil, inklusive einer Karte mit dem
markierten Fundgebiet. Auf einer Zeitleiste kann man zusätzlich anhand
von Symbolen den Entwicklungsstand ablesen, also Nutzung des Feuers
oder Herstellung von Werkzeug und anderes.
Im abschließenden 6. Kapitel „Vielfalt des Lebens bei Senckenberg –
Weit mehr als Urmenschenforschung“ gewinnt man einen kurzen Einblick
in die Aufgabenvielfalt der Senckenberg Forschungsinstitute an den
verschiedenen Standorten in Deutschland.
„Safari zum Urmenschen. Die Geschichte der Menschheit – entdecken,
erforschen, erleben. Das Buch zur Ausstellung“ ist für den
interessierten Laien mit Gewinn zu lesen, auch wenn er nicht die
Gelegenheit haben sollte, die Ausstellung selbst zu besuchen. Auf
jeden Fall macht es Lust auf einen solchen Besuch.
Almut Hoffmann, Museum für Vor- und Frühgeschichte,
Schloss Charlottenburg-Langhansbau
Acta Praehistorica et Archaeologica vol. 42, 2010